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Eigentlich sind die Hillmanns Pensionäre, aber in Hamburg sind Tausende Ukrainer neu an den Schulen. Die Stadt bat um Hilfe. Das Ex-Lehrerehepaar sprang gern ein. Und trotz Hürden ist die Bilanz positiv.
Die Kaffeemaschine brummt, zwei Brötchen liegen auf weißen Porzellantellern. Klaus-Peter Göke-Hillmann stellt noch Wurst und Butter dazu. Er und seine Frau Ulrike Hillmann sind früh aufgestanden, nach vielen Jahren in Pension gehen sie wieder in die Schule.
Das Schicksal ihrer Schülerinnen und Schüler ist auch am Frühstückstisch präsent: Eine Tageszeitung liegt neben den nun gefüllten Kaffeetassen. Wie so oft ist eines der großen Themen darin der Krieg in der Ukraine. Das Lehrerehepaar will helfen. "Die Menschen tun mir unendlich leid. Schule ist das beste Mittel, um den Kindern eine Struktur zu geben, um ihnen zu signalisieren: Ihr seid hier aufgehoben, Ihr seid hier sicher", sagt der 75-jährige ehemalige Gymnasiallehrer.
Seine Frau, 68 Jahre alt, ergänzt: "Einfach nur Rente, so sind wir nicht, es darf immer noch was sein im Leben."
Beide gehören zu insgesamt 31 pensionierten Lehrkräften in Hamburg, die zurück ins Klassenzimmer gehen. Im März hatte die Schulbehörde alle pensionierten und verrenteten Lehrerinnen und Lehrer angeschrieben. Denn der Bedarf ist groß: Seit Kriegsbeginn werden in der Hansestadt fast 3500 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine unterrichtet, Hunderte weitere werden erwartet.
Klaus-Peter Göke-Hillmann unterrichtet Mathe, ...
Bild: NDR
... und seine Frau Ulrike bringt den ukrainischen Kindern Englisch bei.
Bild: NDR
Ulrike Hillmann steht vor einer blassgelben Tür, dahinter warten ihre acht Schülerinnen und Schüler. Einmal in der Woche unterrichtet sie in der Stadtteilschule Blankenese Englisch. Vor elf Jahren stand sie zum letzten Mal regelmäßig vor einer Klasse. "Vor dem Unterricht bin ich noch immer aufgeregt. Das ist so anstrengend, dass ich manchmal froh bin, wenn der Dienstagnachmittag erreicht ist."
Denn die Anforderungen sind hoch: Ihre Schülerinnen und Schüler sind zwischen elf und 14 Jahre alt, haben in der Ukraine unterschiedliche Klassenstufen besucht. Die Herausforderung: die einen nicht zu langweilen und die anderen nicht zu überfordern.
Hillmann passt die Aufgaben an das jeweilige Alter an und sie versucht, die Klasse zum Sprechen zu bringen: Mit verteilten Rollen sollen sie einen Kochabend unter Freunden nachspielen. Die Schülerinnen und Schüler sind leise und zurückhaltend. Die Fragen ihrer Lehrerin verhallen oft in der Stille des Klassenzimmers.
Die 68-Jährige wirkt routiniert, die Anspannung ist ihr nicht anzusehen. Nur eines bringt sie manchmal aus dem Takt: "Es gibt inzwischen neue Technik, die ich nicht mehr kenne. Ich stehe vor diesem riesigen Smartboard und frage mich: Wie war das gleich mit dem Löschen? Und dann funktioniert das nicht."
Die Kultusminister ermöglichen Geflüchteten ein Studium bei kriegsbedingt verpasster Abschlussprüfung.
In seiner Schulstunde hält Klaus-Peter Göke-Hillmann ein kleines Plastikdreieck in die Höhe. "Wie heißt das?", fragt er in die Runde. Für die ukrainischen Schülerinnen und Schüler hat der Mathematikunterricht begonnen. Ihre Blicke sind fragend - und wieder einmal ist es ganz still im Klassenzimmer.
Es sei ein pädagogisches Prinzip, dass Lehrer wie Göke-Hillmann und seine Frau ohne Übersetzer arbeiten, sagt die Schulbehörde. Die Kinder sollen die neue Sprache anwenden.
Die zwölfjährige Anastasia aus dem Donbass findet, deutsche Lehrerinnen und Lehrer seien weniger streng als die bei ihr zu Hause.
Bild: NDR
Eine Schülerin sucht nach dem richtigen Begriff in ihrem Buch - langsam, kaum hörbar nennt sie ihn: Geodreieck. Anastasia ist zwölf Jahre alt, kommt aus Bachmut im Osten der Ukraine. Der Unterricht in Deutschland sei anders, erzählt sie. In der Ukraine seien die Lehrer strenger. Es gehe vor allem um Leistung: Der Unterrichtsstoff werde schnell durchgearbeitet, dann folgten Tests.
Deshalb seien einige Eltern auch wegen seines Unterrichts irritiert, sagt Göke-Hillmann nachdenklich. Er erkläre ihnen dann, dass er einen anderen Ansatz habe: "Die sollen hier ankommen, und sie sollen Schule auch als Ort begreifen, der ihnen Freiräume schafft. Damit haben auch die Schülerinnen und Schüler Probleme, das sind sie nicht gewohnt."
"Bei aller Anstrengung, es macht mir einfach Spaß", sagt Ulrike Hillmann.
Bild: NDR
Es ist Nachmittag geworden, im Hause Hillmann brummt wieder die Kaffeemaschine. Austausch bei Kaffee und Kuchen nach der Schule, das ist für das Lehrerehepaar wichtig. Erst danach können sie abschalten. Die Bilanz heute fällt positiv aus: "Bei aller Anstrengung, es macht mir einfach Spaß. Und ich kann nicht einfach sagen, jetzt bin ich alt, jetzt mache ich gar nichts mehr."
Ihr Mann hat sich auf dem Sofa zurückgelehnt und ergänzt: "Was ich zurückbekomme, ist auch die Erfahrung, dass ich das noch kann und dass es mir dabei gut geht."
Der Kaffee ist ausgetrunken, nun hat die Schule Pause: "Man muss sie ausblenden können. Ich habe gesehen, dass Schule einen auffressen kann, wenn man zu viele Dinge zu nah an sich ranlässt", sagt Klaus-Peter Göke-Hillmann. Noch ein weiteres Jahr Schule, dass können sich beide aber gut vorstellen.
Die tagesthemen-Serie mittendrin stellt Menschen und ihre Heimat vor.
Über dieses Thema berichtet die tagesthemen am 27. Juni 2022 um 22:30 Uhr.
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