bademeister

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Richard Hebstreit


EIN BADEMEISTER UND EINE FRAU

Berlin, du geile Sau. Nirgends sonst kann man an einem Ort ein dreifach destilliertes Konzentrat aus Lebenslügen, teurem Parfum und gepflegter Altersgeilheit erleben wie im ehrwürdigen Café Keese – dieser Kreuzung aus Rentner-Rumba und Erotikbörse mit Diskokugel. Ich landete dort einst – nicht ganz freiwillig – nach einer Zeitungsannonce, in der eine sympathisch formulierte Witwe Hilfe beim Einbau eines Regalbretts suchte. Zwischen den Zeilen war allerdings klar: Die Dame wollte noch ganz andere Dinge reparieren – vorrangig ihren Hormonhaushalt.

Im Keese tanzt man nicht nur den langsamen Walzer, man tanzt um Wahrheiten herum. Die soziale Hackordnung ist streng wie beim Hundesalon in Dahlem: Von der pensionierten Kassiererin mit Fußballwitwer bis zur Charlottenburger Hausbesitzerin mit drei Stechern im Schlepptau ist alles vertreten. Und mittendrin riecht es nach den teuersten Parfüms – aus sämtlichen Gesellschaftsschichten. Ich sage immer: Wer in Berlin mal wissen will, wie "Chanel No. 5" an einem 88-jährigen Hüftgelenkimplantat riecht – Keese ist der Ort.

Aber kommen wir zur wahren Perle dieser Geschichte. Sie beginnt, wie es sich für Berlin gehört, profan: Eine Frau geht zur Klassenfeier. S-Bahn, Cola light, ein alter Schulfreund – Bademeister im Prinzenbad, braungebrannt, solide, Chlor in der Aura. Man verliebt sich. Nach einem halben Jahr gibt’s den Heiratsantrag, nach neun Monaten den Hochzeitstermin – Berlin-Takt eben.

Dann passiert das Wunder: Der Bademeister erbt. Und nicht irgendwas, sondern gleich eine ganze Straße mit links und rechts je 15 Hausnummern, komplett kernsaniert, inklusive zweier Gartenhäuser, die in Berlin eigentlich Mini-Städte sind. Der Grund? Die Tante – eine üppige Dame mit Vorliebe für Sahnetorte, Schampus und Keese – hat vergessen, an Bauchspeicheldrüsenkrebs zu sterben mit Testament. So erbt der Neffe, vormals Wasseraufsicht in Badehose, plötzlich ein dreistelliges Millionenvermögen.

Vier Herren im Armani stehen bei ihm vor der Tür. Keine Stripper, sondern Anwälte. Sie erklären ihm, dass er jetzt Berlin besitzt – oder zumindest einen Teil, der in jedem Monopoly-Spiel das grüne Feld wäre. Der Bademeister versteht die Tragweite schnell: Er chartert eine Boeing 737 samt Crew, lädt 72 Gäste zur Hochzeit auf die Malediven ein, mietet ein komplettes Luxusressort – weil er’s kann. Jeder Gast bekommt einen persönlichen Diener. Weil: Ein Malediver lebt statistisch von weniger als 1,17 Dollar am Tag. Der Bademeister lebt nun vom Zinseszins.

Aber wie das mit plötzlich Reichen oft so ist – das Hirn friert ab, wenn das Konto überkocht. Nach zehn Tagen Vollsuff, Strandgammeln, Seeigel-Kollisionen und Heimweh beginnt die Hochzeitsgesellschaft sich in eine Mischung aus RTL2-Dschungelcamp und "Warten auf Godot" zu verwandeln. Alte Freunde kotzen das Ressort voll, betrunkene Gäste werden im maledivischen Knast wegen Beleidigung von Uniformträgern interniert. Eine Freundin verliebt sich in den Hausmeister und bleibt. Die Stimmung kippt – und mit ihr die Braut.

Drei Wochen später: Rückflug nach Berlin. Minus Gäste, minus Liebe, plus Erfahrung. Die Scheidung folgt auf dem Fuße, begleitet von einer ganzen Armee deutscher Anwälte. Am Ende bleibt der Braut ein zweistelliges Millionenvermögen. Nicht übel für eine, die vorher beim Jobcenter aufgerufen wurde, wenn die Nummer „K354“ blinkte.

Heute lebt sie gepflegt, elegant, ohne Hartz und mit Seidenschal. Mittwochs sitzt sie wieder an der Bar im Keese, bei den exotischen 4,50-Euro-Cocktails, blickt in die tanzende Vergangenheit und weiß genau, was sie sagt, wenn ein neuer Verehrer sie fragt: „Und, schwimmen Sie gern?“ – „Nein. Und tauchen schon gar nicht.“

Und der Bademeister? Er ist jetzt graubärtig, fährt ein Elektro-BMW-Fahrrad, redet nur noch mit Zigarren, die er aus seiner eigenen kubanischen Fabrik bezieht. Im Sommer ist er in Kreuzberg, im Winter in Kuba. Im Keese kennt ihn keiner mehr – aber jeder hat mal von ihm gehört.


© 2008 Richard Hebstreit


KI-Symbol-Bild zum Text:

https://www.instagram.com/p/DJcH2DmsxjH/


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