Wird sonst Gelöscht

Wird sonst Gelöscht


Aus aktuellem Anlass und weil man es in diesem Fall auch sehr gut mit dem Gruppenthema verbinden kann. Es geht um zwei Bücher, die eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdienen würden, man sich jedoch auch schnell dem Vorwurf des Antisemitismus gegenübersieht.

1: „Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand

2: „Die Erfindung des Landes Israel. Mythos und Wahrheit

Beide Werke stammen von Shlomo Sand, einem Professor für Geschichte an der Universität in Tel Aviv (Israel). Geboren wurde Sand 1946 in Linz (Österreich). Sein erklärtes Hauptanliegen besteht darin die Begriffe „Jüdisches Volk“, „jüdische Rasse“ usw. aufzuklären, worin er einen wichtigen Beitrag zur Friedensstiftung im Israel-Palästina-Konflikt sieht. Manche Sätze aus den Büchern (und das seitenweise) könnten aus Veröffentlichungen verschiedenster bekennender Chronologiekritiker stammen, so sehr gleichen sie in Inhalt und Absicht diesem Themengebiet. Und doch scheint es das Sand von einer Chronologiekritik als solches noch nie etwas gehört hat. Da beide Bücher aber im Titel bereits das Wort „Erfindung“ führen, könnte man schon vom Ansatz her eine enge Beziehung zum Gruppenthema annehmen.

1: „Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand“

Es kommt nicht von ungefähr, dass der moderne jüdische Nationalismus lieber die fiktiv-ethnischen Aspekte in der Tradition betont. Er verteidigte sie wie eine wertvolle Beute, knetete sie in seinen ideologischen Labors ordentlich durch, walzte sie als säkulares historisches “Wissen” aus und schnitt alle Spuren der Vergangenheit aus ihr heraus. Das nationale Gedächtnis wurde auf den Nährboden eines verordneten Vergessens gepflanzt, daher sein sensationeller Erfolg.“

Das hätte so auch von Edwin Johnson, Kammeier oder Topper stammen können. Dennoch werden weder Jesuiten noch Bollandisten, weder Jean Hardouin noch Peter Franz Joseph Müller oder sonst einer je erwähnt. Das lässt sich aber auch begründen. Denn bei Sand geht es um den Zionismus, und nur um diesen! Mit seiner Arbeit können wir somit quasi einen Sonderfall von Geschichtsherstellung studieren, wie er dabei so sauber und wissenschaftlich zu Werke geht, wie es dieses Thema zuvor noch nicht gesehen hat. Chance my mind… Es ist ein Musterbeispiel an bewusster Forschung, verantwortungsvoll und akribisch hergestellt und mit 560 bibliographischen Anmerkungen versehen. Ein Fundus von gediegenem Wissen und geduldiger Lektüre, und eine Fundgrube für weitere Forschungen.

Im zweiten Abschnitt der Einleitung, „Das implantierte Gedächtnis“, geht Sand dann auch gleich radikal ins Wesentliche. Die Geschichtsschreibung Israels sei eine bewusste Manipulation seitens einer Elite. Man Plante die Zukunft bewusst mit Hilfe einer Vergangenheit, die aus verständlichen Gründen unbekannt ist und auch immer bleiben wird. „Zu den obersten Prioritäten der staatlichen Erziehung gehörte die Reproduktion des implantierten Gedächtnisses, und ihr Herzstück war die Nationalgeschichte.“

Hier sollte man dann anmerken, dass der Zionismus keineswegs ein Sonderfall ist, sondern sich organisch in das „Erwachen der Nationalstaaten“ im 19. Jahrhundert einbettet. Alle diese Nationalstaaten beruhen letztlich auf Geschichtsfälschung!

Auch die israelischen Erinnerungslandschaften entstanden in einem alles andere als spontanen Vorgang. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden sie von begabten Neuerfindern der Vergangenheit Schicht um Schicht rekonstruiert.“

Eine „chronologische Überraschung“ hat Sand auch entdeckt, denn zwischen der Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch Titus (angeblich „70 A.D.“) und der Eroberung der Stadt durch die Moslems im „7. Jh.“ (also mehr als ein halbes Jahrtausend später), scheint die Zeit dort „stillgestanden zu sein“! Dies Überrascht ihn sogar so sehr, dass er es wiederholt. Sand stellt fest, dass es „im nationalen historiographischen Diskurs (…) keinerlei zufriedenstellende Antworten zu diesen Fragen“ gibt. Das Sand keine Ahnung von der Chronologiekritik als solches hat, sieht man dann aber z.B. auch an anschließenden Erwähnungen der „Teilnehmerlisten des Konzils zu Nicäa im Jahre 325“, die er als gesichertes Wissen ansieht. Dies zeigt sehr gut, dass er trotz aller kritischen Sicht doch einige Gedanken noch nicht hatte oder sich diese nicht zu äußern traut.

So sind auch die Kapitel über die arabischen Himjaren und über die große jüdische Stammesführerin der Kabylen, die Kahina, oder die ausführliche Untersuchung über die Chasaren zwar ungemein belesen und spannend geschrieben,- aber dennoch innerhalb des „märchenhaften Kontextes“ geblieben, den Sand wohlgemerkt ansonsten so scharf als Erfindung erkennt und herausstellt. Erst gegen Ende seiner langen Untersuchung zu den jüdischen Chasaren wird ihm immer deutlicher, dass nun auch hier „erfundene Geschichte“ vorliegt.

Die nationale Geschichtsschreibung versucht nicht wirklich, die Kulturen der Vergangenheit zu erforschen, ihr Hauptanliegen war bisher die rein auf die Gegenwart gerichtete Schaffung einer Metaidentität sowie der Aufbau eines Staates.“

Da endlich zeigt er das große Problem des „aschkenasischen Judentums“ auf, dass für ihn dann wiederum als „chronologische Überraschung“ dient. Das „Chasarenreich“ ist offiziell im 11. Jahrhundert untergegangen,- aber das kulturelle Leben in osteuropäischen Schtetln (Bezeichnung für „Jüdische“-Siedlungen) beginnt erst im 16./17. Jahrhundert. Ein halbes Jahrtausend liegt leer und ohne Zeugnisse dazwischen! Hinzukommt der unerklärliche Sprachwechsel vom türkisch oder ugrischen Chasarisch zum deutschen Jiddisch. Daraus entspringt für Sand dann die Erkenntnis:

Das Judentum war schon immer eine bedeutende, sich aus verschiedenen Strömungen zusammensetzende religiöse Kultur, aber keine wandernde und fremde ‚Nation’.“

Spannend ist bei Sand auch das Kapitel „Rasse und Nation“. Interessant sind die einzelnen Etappen auf dem Weg zur Erzeugung einer Vorstellung von einer „jüdischen Rasse“.  Denn Sand verdeutlicht hier auch sehr gut und offenbar ganz bewusst, dass Darwins Abstammungsthese keineswegs am Anfang der Entwicklung einer „jüdischen Rasse“ stand. Auch Sand geht dabei auf viele Absurditäten (pardon: „moderne wissenschaftliche Entdeckungen“), wie Genome oder Gene ein, die für Juden oder gar Kahanim bestimmt wurden. Der Begriff „jüdisches Gen“ wurde tatsächlich wissenschaftlich schon 1911 publiziert und gilt bis heute als diskussionswürdig. Also kaum 2 Jahre nachdem man überhaupt von „Genen“ sprach. S. Sand schreibt:

„(Martin) Bubers Vision von der Nation bestand darin, diese als eine biologische Kette der Generationen von den Erzvätern und -müttern bis in die Gegenwart zu denken und eine Gemeinsamkeit des Blutes zu empfinden, die in unvordenkliche Zeiten zurückreichte.“

Hier spielt derselbe Gedanke eine Rolle, wie bei so vielen „Antiken“ Funden. Es scheint der Glaube vorzuherrschen, dass die Wertigkeit oder die Glaubwürdigkeit mit dem Alter steigt. Je Älter man also etwas macht, desto mehr Anspruch auf Wahrhaftigkeit wird diesem zugesprochen. Ein Widerspruch in sich eigentlich… Sand fährt fort:

Eine neoromantische Mystik von Erbgut und Boden liegt dem spirituellen Nationalismus des charismatischen Religionswissenschaftlers zugrunde, der viele junge jüdische Intellektuelle aus Osteuropa um sich scharte.“

Vom „Erbgut“ und „Blut“ ist hier übrigens häufig die Rede, Ausdrücke, die wir in unserem Lande ehr nicht so gebrauchen würden. Sie kommen im Zusammenhang mit dem „jüdischen Volk“ aber ständig vor. Deshalb streift Sand auch die ganze Zeit das ewige Problem der „juristischen Zugehörigkeit durch Abstammung“ in seiner Kulturgruppe. Denn in Israel ist es Gesetz, dass man nur als jüdisch zählt, wenn man aus einer „jüdischen Mutter“ gekommen ist. Der Grund dafür ist, dass der „gottverheißene Samen Abrahams“ (Stammvater), leider so „zahlreich wie der Sand am Meer“ gestreut wurde, und es deshalb nicht als Recht für ein Kind gilt, sich jüdisch zu nennen. Dieses Dilemma nimmt nicht selten surreale Züge an. Hier sei auch an Ivan Denes „Gott am Wannsee“ (1993) erinnert.

Abschließens meint Sand zu dem Werk:

Die Konstruktion eines neuen Geschichtsbildes steht immer unter dem Einfluss einer nationalen Ideologie und folgt deren Logik. Historische Einsichten, die von der althergebrachten nationalen Meistererzählung abweichen, können nur dann akzeptiert werden, wenn man sich nicht vor ihren Konsequenzen zu fürchten braucht.“

Genau hier liegt auch ein Problem! Denn „fürchten“ muss sich zwar keiner, aber ganze „Lebenswerke“ und „Expertisen“ würden vollkommen und nachhaltig zerstört werden.


2: „Die Erfindung des Landes Israel. Mythos und Wahrheit“

Die politische Dimension und ausgelösten Kontroversen des ersten Buches kann man sich vorstellen. Wikipedia hilft da sonst auch „gerne“ weiter. Dennoch hat S. Sand völlig korrekt festgestellt: „Kein Gott ohne Land.“ Also ganz im Sinne antiker Religiosität.

Sands folgende Überlegung war: Wenn dieser Gott und sein auserlesenes Volk erfunden sind, dann deren Land zwangsläufig ja ebenso. Diese Erkenntnis hat allerdings eine noch stärkere politische Dimension, denn Kriege werden mit der Begründung von Landesverteidigung und neuen Grenzziehungen geführt. Auch aktuell wieder. Wir konzentrieren uns aber nur auf den geschichtswissenschaftlichen Inhalt, der für das Thema Chronologiekritik schon ergiebig genug ist. Eine derartige Beschränkung ist auch deshalb möglich, weil der Autor selbst dieses Werk im „historiographischen Sinne“ verstanden wissen will. Auch wenn man betonen muss, dass e sich seiner Wirkung auf die politische Debatte voll bewusst zu sein scheint (siehe Interviews mit ihm). Im Grunde geht es wie im ersten Buch um die Erkenntnis, dass der heutige Zustand von Volk und Land Israel mit Hilfe „geschichtlicher Begründung“ zu einer Wirklichkeit geworden ist. Die Vorgehensweise ist also dieselbe wie im ersten Buch, es ist eine Fortsetzung des Themas mit verbesserter Materialkenntnis. Wobei die Auswertung von „historischem und historiographischem Material“ nicht nur die bevorzugte Arbeitsweise von Sand darstellt.

Und ich begann zu verstehen, dass meine bisherige Arbeit in mehrfacher Hinsicht unausgewogen war. Die vorliegende Studie ist daher nicht zuletzt dazu bestimmt, eine bescheidene Ergänzung zu liefern, die versucht, manche Aspekte genauer zu fassen und Fehlendes hinzuzufügen.

Ein Grundproblem stellt er dabei direkt auch fest, denn: Die Bibel wird heute als Geschichtsbuch, ja als Gründungsbuch des Staates Israel benutzt, obwohl sie ursprünglich eine Schrift des Glaubens war. Interessant ist auch, dass, sobald S. Sand beginnt, christlichen Datierungen in die Geschichtsschreibung mit einzubeziehen und damit zu rechnen usw., er sofort auf eine „Lücke“ stößt. So entgeht ihm nicht, dass zwischen gebräuchlichen Jahreszahlen und vernünftiger, denklogischer Einschätzung große Lücken klaffen. Einmal entdeckt er z.B. sogar einen Zeitsprung von 1.800 Jahren:

Als ich während meines Studiums die chronologische Einteilung der Menschheitsgeschichte seit der Erfindung der Schrift kennenlernte, kam mir die ‚jüdische Heimkehr‘ nach mehr als 1800 Jahren wie ein absurder Zeitsprung ohne jede chronologisch-rationale Verhältnismäßigkeit vor. (…) Ich kam zu dem Schluß, dass die ‚jüdische Heimkehr‘ vor allem eine wirkungsvolle Erfindung gewesen war, die ein neues Kolonisationswerk rechtfertigen sollte.“

Hier beschreibt er quasi genau das, was wir hier zu besprechen versuchen. Mit ein paar Federzügen durch einige „befugte Personen“ werden Mythen geschaffen, die dann geschichtliche Wirklichkeit annehmen und zu verhängnisvollen Taten in unserer Zeit führen (z.B. Kriegen usw.). Wie unsinnig, absurd und oft hanebüchener Schwachsinn sie in Wahrheit aber sind, wird dann am schärfsten durch den „irrationalen chronologischen Rahmen“ deutlich, in dem sie eingepresst werden sollen/müssen. In diesem Fall des Mythos von der Heimkehr des auserwählten Volkes macht Sand sogar die Herkunft und Verwendungsweise ausfindig. Demnach waren es „christlich-protestantische“ Denker, „denen sogar die Urheberschaft dieser Idee zukommt“. Er schreibt weiter: „Die Mär von der massenhaften Vertreibung (der Juden) durch die ‚Römer‘ ist christlicher Natur und wird Jesus als Prophezeiung von der (zweiten) Vertreibung der Juden in den Mund gelegt.“

Um es hier schon einmal zusammenzufassen: Die Geschichten wie die „zweite Zerstörung des Tempels“ und die „Vertreibung und Hoffnung auf Rückkehr nach Jerusalem“ sind junge Mythen aus christlichem Schatz, die von der offiziellen Lehre in Israel zwecks Bildung einer Nation und Führung von Kriegen verwendet werden! Hier sei auch an die Entstehung der Thora usw. erinnert, die ebenfalls nicht ansatzweise so alt ist, wie gelehrt wird.

Zuweilen jedoch kann die Geschichte recht ironische Züge annehmen, insbesondere auf dem Feld der Erfindung von Traditionen oder sprachlicher Überlieferungen. Wenige nur machen sich klar oder sind bereit zuzugeben, dass das Erez Israel der Bibel nicht Jerusalem, Hebron, Bethlehem und deren Umgebung umfasste, sondern nur Samaria und einige angrenzende Landstriche.

Durch Erfindungen solcher Art leben und fallen heute ganze „Staaten“ und „Nationen“. Sand benutzt hier eine schöne Computer-Analogie: Während das „staatliche Territorium“ die nötige (ausgesuchte/bestimmte) Hardware ist, erscheint die erfundene Vergangenheit als die Software, das Programm. „Denn so wie das nationale Projekt sich ohne Staatlichkeit und ohne erfundene Vergangenheit nicht verwirklichen kann, so ist es auch auf die geographisch-materielle Phantasie von einem eigenen Territorium angewiesen, das ihm als Ansatzpunkt und leidenschaftlich verfolgtes Ziel dient.

Dazu gehört selbstverständlich auch eine eigene Sprache, die das zu bildende Volk „einigt“ und von allen anderen „abgrenzt“. Das moderne Hebräisch beispielsweise ist eine Schöpfung zionistischer Gelehrter, „deren Muttersprache in aller Regel Russisch (und/oder Jiddisch) war“, so Sand. Das würde oder wird Fomenko oder auch Kammeier sicherlich freuen zu hören. Der gesamte Vorgang, der von Sand beschrieben wird, erinnert stark an die Neuschöpfung klassischer Sprachen wie „Arabisch“ oder „Latein“ in der frühen Renaissance. An den Schlüsselwörtern Heimat und Vaterland macht Sand die vertrackten Wege der Entstehung von politisch verwertbaren Inhalten anschaulich.

Das S. Sand jedoch, wie schon erwähnt, andere grundlegende Gedanken nicht zulässt, sieht man auch an Sätzen wie: „Ein Anthropologe mit breiter historischer Bildung sollte außerdem nicht außer Acht lassen, daß es der menschlichen Rasse, die ihren Weg offensichtlich auf dem afrikanischen Kontinent begann (…)“ – Halt, Stopp… Schon hier sollte man einhaken. Man muss hier anmerken, dass Sand sogar für die offizielle Lehrmeinung veraltete Ansichten vertritt. So kommt bei ihm z.B. zum Ausdruck, dass in der Vorgeschichte zuerst Nomaden unterwegs waren und sich dann Sesshafte breitmachten. Seit längerem wird von akademischer Seite jedoch erkannt, dass die Sesshaftigkeit der „ursprüngliche Zustand“ war, und „Nomadisieren“ eine Notlösung bei veränderten Umweltbedingungen darstellt. Auch das Thema Afrika als Kulturwiege oder Menschheitswiege ist so eine Sache.

Jedenfalls hängen ein Land (die Erde unter den Füßen) und der Staat untrennbar zusammen, sie bedingen sich gegenseitig! Das ist bei einem nur ideellen oder religiös vorgebildeten Begriff wie „Israel“ und „Heiliges Land“ jedoch nicht deckungsgleich.

Neben dem Geschichtsunterricht, der die Vergangenheit des nationalen Gebildes ersann, waren es, wie erwähnt, die Geographiestunden, die das territoriale Gebilde erschufen und Form annehmen ließen. So wurde die Nation zugleich in zeitlicher wie in räumlicher Dimension geformt.“

Er schreibt auch, dass die Bibel, eine Sammlung theologischer Texte von „zionistischen Vordenkern“ zum Nationalepos umgestaltet wurde. Und wieder kommt die Ironie von Sand durch, die wir schon aus seinem ersten Band kennen. Er bringt hier dann z.B. auch wieder die Absurditäten rüber. Diesmal der mosaischen Geschichte des auserwählten Volkes als solches. Wobei er dann mit Sätzen wie: „(…) eine Zeitspanne, die länger ist als die zwischen der puritanischen Revolution in England und der Erfindung der Atombombe. (…)“, auch mal Zeitsprünge von 400 Jahren einbaut. Auch die Umdeutung des peinlichen Massenmordes von Josua, die mit Rückgriff auf archäologische Erkenntnisse als pure Erfindung durchschaut wird, greift Sand wunderbar auf. Er stellt dann auch die „Kardinalfrage: Warum präsentiert die biblische Erzählung die ersten Monotheisten als Einwanderer, als Eroberer, als vollkommen Fremde in dem Land?

Sand überlegt dann auch, ob ein „Exil“ evtl. eine Grunderfahrung der Bibelschreiber war?! Diese Schreiber hätten aber den Monotheismus erfunden, der dann wiederum Auslöser des „jüdisch-christlich-muslimischen Eroberungszuges“ war, der „am Ende eines langen Prozesses einen Großteil des Erdballs eingenommen haben würde“, so Sand. Spannende Sätze!

An einige Ausgaben der „ExpressZeitung“ musste ich dann auch bei der Bemerkung von Sand denken, dass: „die jüdischen Gläubigen, vor allem in Ost- und Mitteleuropa“, Mitte des 19. Jahrhunderts „überhaupt nicht in ihr heiliges Land auswandern“ wollten, um „dieses nicht zu entweihen. Und jene, die im Westen lebten, waren bereits zu verweltlicht, um noch in eine nationale, pseudoreligiöse Falle zu tappen.“ Zum Glück kam dann ja später … ach lassen wir es..

Am Ende möchte man Sand den nicht weniger angefeindeten jüdischen Schriftsteller Arthur Koestler an die Seite stellen (speziell auch „Der Mensch – Irrläufer der Evolution“, 1981), der ebenfalls kategorisch erklärt: „Kriege werden nicht um Territorien geführt sondern um Worte.“

Das Territorium ist demnach der tatsächliche Besitz des Kriegers, - also sein Haus und Acker, der Fluss usw. Alles andere ist ideelle Vorstellungen und Konzepte, von Worten geprägt, ein Sinnbild, eine Idee. Das hat Shlomo Sand spätestens mit seinem zweiten Buch bis in jede Einzelheit nachgewiesen. Wobei man selbstverständlich nicht alle angeführten „Beweissätze“ diskussionslos hinnehmen sollte (oder könnte).

Dennoch lässt sich pauschal sagen: Sands Forschungsergebnisse haben „allgemeingültigen Charakter“, besonders hinsichtlich ihrer Kritik an der Geschichtsschreibung und dem Missbrauch, der von politischer Seite damit seit jeher getrieben wird. Es bildet ein Muster, das für alle weiteren kritischen Arbeiten angewendet werden sollte. Dass dieses Muster durch S. Sand gerade am Beispiel Israel aufgezeigt worden ist, gehört wohl zur Tragik der Zeit. Es mindert aber den Wert der historischen Erkenntnis nicht im Geringsten! Wohlgemerkt stellt Sand auch nicht das Existenzrecht Israels nicht in Frage, sondern nur dessen Staatsform. Dennoch lautet seine Schlusserkenntnis ganz klar: Es gibt kein „Erez Israel“ (Erde Israel), das unabhängig von den ideellen Vorgaben real existiert hätte.



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