Wilhelm Radloff. Proben der Volkslitteratur der türkischen Stämme Süd-Sibiriens, Band 1, 1866

Wilhelm Radloff. Proben der Volkslitteratur der türkischen Stämme Süd-Sibiriens, Band 1, 1866

Ruslan

# 13. (p. 306-313)

Drei Brüder lebten,

Der eine war thöricht.

Alle drei ritten,

Reitend kamen sie zu einem Hause.

Als sie nachsahen, war die Thür verschlossen.

Mit einem Steine sprengten sie die Thür,

Die Thür öffneten sie.

Als sie geöffnet, steht ein Tisch da.

Alle Speise steht fertig da.

Der thörichte Bruder sprach:

«Lass uns diese Speise essen.»

Die beiden andern sprachen: «Wir essen nicht,

«Wir fürchten uns.»

Der thörichte Bruder sprach:

«Wenn ihr euch fürchtet, meine Brüder,

«Ich fürchte mich nicht.»

Der thörichte Bruder fing an zu essen.

Sausend wehte ein Wind,

Die zwei Brüder entflohen.

Alle drei krochen in den Keller,

Als sie hineingekommen, lagen drei Mädchen da.

Aus dem Keller gingen sie wieder hinaus,

Die Speise auf dem Tische assen sie,

Heraus gingen sie.

Der siebenköpfige Jälbägän kam,

«Uf, Uf», sagte er,

«Den Geruch von Menschen rieche ich.»

Ohne die Speise zu essen, stand er auf.

Jälbägän sprach zum Mädchen:

«Hier wird wohl ein Mensch sein,

«Den einen koche mir,

«Nachdem die Leber gar gekocht,

«Setze seine Leber auf den Tisch,

«Ich will sie essen.»

Jälbägän ging hinaus.

Die drei Mädchen öffneten den Keller,

Die drei Mädchen traten ein,

«Kommt schnell heraus, sprachen sie,

«Im Ofen will ich euch backen.»

Der eine, der thörichte Bruder, sprach:

«Einer gehe hinaus!»

Die beiden Brüder fürchteten sich,

«Nein, wir gehen nicht hinaus,

«Man will einen Menschen tödten und ihn in den Ofen stecken.»

««Wenn ihr nicht hinausgeht, werde ich gehen»»,

Sprach der thörichte Bruder,

««Mich möge sie kochen.»»

Hinaus ging der thörichte Bruder.

Das Mädchen sprach zu ihm:

«Lege dich auf die Ofenschaufel.»

««Ich versteh das nicht»», sprach er,

««Du lege dich voraus hin,

««Ich will das mit ansehen»», sprach er.

Das Mädchen legte sich auf die Schaufel,

Der thörichte Bruder nahm die Schaufel,

Warf das Mädchen,

Däs Mädchen kocht im Ofen,

Heraus nahm er das Mädchen,

Die Leber riss er ihr aus,

Die Leber stellte er auf den Tisch.

Der siebenköpfige Jälbägän kam.

«Mein Kind, das ist gut», sprach er,

«Des einen Menschen Leber briet sie»,

Jälbägän ass die Leber,

«Ei, ei, sagte Jälbägän,

«Das war keines Menschen Leber,

«Das war die Leber meiner Tochter.»

Er weinte, ging hinaus.

«Kochet wieder einen», sprach er.

«Seine Leber will ich essen.»

Die beiden Mädchen kamen,

Zu den drei Brüdern kamen sie.

«Kommet schnell heraus.»

Der thörichte Bruder sprach,

Zu seinen beiden Brüdern sprach er:

«Gehet schnell hinaus.»

««O weh, o weh!

««Man will uns im Ofen kochen,

««Wer will sich davor nicht fürchten und hinausgehen.»»

«Ja, ich fürchte mich nicht», sprach er.

Der thörichte Bruder kam heraus.

Das Mädchen sprach zu ihm:

«Auf die Ofenschaufel lege dich.»

Jener Mensch legte sich auf die Ofenschaufel.

Das Mädchen fasste den Stiel der Schaufel,

Den thörichten Menschen warf sie,

Den Ofenrand zertrat er,

Das Mädchen sprach:

«Du hast dich schlecht hingelegt,

«Den Ofen hast du zerbrochen.»

««Ich verstehe es nicht besser.

««Du lege dich hin, ich will zusehen.»»

Das Mädchen legte sich hin,

Der thörichte Bruder schleuderte das Mädchen hinein,

In den Ofen schleuderte er sie.

Das Mädchen kochte er,

Das Mädchen war gar, er nahm sie heraus,

Die Leber riss er ihr aus,

Auf den Tisch stellte er die Leber.

Der siebenköpfige Jälbägän kam,

Die gekochte Leber ass er.

«Ei, ei! das ist keines Menschen Leber,

«Das ist meines Kindes Leber.

«Jetzt kocht noch einen», sprach er.

Ein Mädchen trat ein,

«Komme schnell heraus», sprach sie.

Zu dem thörichten Bruder sprachen sie:

«Nun geh auch jetzt hinaus.»

Der thörichte Bruder sprach:

«Wenn ihr sterben müsst, so sterbet,

«Was soll ich denn hinausgehen.»

Die Klugen verneigten sich vorm Thörichten.

«Du wirst die Sache schon gut machen», sprachen sie.

Der Thörichte ging ebenfalls hinaus.

«Lege dich in die Ofenschaufel», sprach das Mädchen.

Der Thörichte legte sich in die Ofenschaufel,

Das Mädchen warf die Schaufel,

Mit beiden Füssen trat er gegen den Ofen,

Des Ofens Rand zerbrach.

«Ich verstehe es nicht, sprach er,

«Du lege dich, ich will zusehen.»

Das Mädchen legte sich,

Der Thörichte packte den Stiel der Schaufel

Und schleuderte das Mädchen in den Ofen.

Das Mädchen gedachte herauszukommen,

Aber er stiess sie mit der Schaufel zurück,

Er kochte das Mädchen,

Das Mädchen wurde gar, er nahm sie heraus,

Auf den Tisch legte er die Leber.

Der siebenköpfige Jälbägän kam.

Als Jälbägän gekommen,

Entschlüpfte der thörichte Bruder.

Zu der Stelle, wo sie lagen, lief er,

Legte sich dorthin.

Jälbägän kam und ass.

Jälbägän sprach kein Wort.

Jälbägän ging hinaus,

Mit einem Steine verschloss er die Thür.

Die drei Brüder kamen heraus.

Als sie herauskamen,

War die Thür zugemacht.

Der thörichte Mensch sprach:

«Kommet schnell», sprach er,

«Wir wollen die Speisen essen.»

Sie kamen nicht, assen nicht.

Der Thörichte fing an zu essen,

Da assen alle beide mit.

Hinauszugehen dachten sie,

Beide Brüder schlugen gegen die Thür,

Vermochten sie nicht zu öffnen.

Sie weinten, jammerten,

«Jetzt wird uns Jälbägän essen.»

Der siebenköpfige Jälbägän kam,

In den Keller sprangen sie.

Jälbägän trat ins Haus,

Des Hauses Inneres durchsuchte er,

Die Bretter zertrat er,

Als er nachsah, an einer Stelle

Lagen die drei Brüder.

Der Thörichte kam aus dem Keller,

Fasste den Jälbägän.

Sie kämpften, zerrten sich,

Den siebenköpfigen Jälbägän

Zerriss der Thörichte,

Jälbägän starb.

Von den sieben Köpfen einen

Schnitt der thörichte Bruder ab,

Die eine Hand schnitt er ab,

Die Hand wie ein Beil,

Steckte er in seinen Gürtel,

Den einen Fuss schnitt er ab.

Alle drei gingen fort.

Ein zwölfköpfiger Jälbägän kam,

Hinter ihnen her kam er.

Sie erreichten den Fuss eines Baumes,

Als sie den zwölfköpfigen Jälbägän sahen,

Betrachteten sie den Baum.

Alle drei stiegen auf den Baum.

Der zwölfköpfige Jälbägän

Erreichte den Fuss des Baumes,

Als er dort hinkam, fand er sie nicht,

Am Fusse des Baumes übernachtete er.

Der Himmel bewölkte sich,

Es donnerte.

Der Thörichte sprach zu seinen Brüdern:

«O weh! O weh!

«Mein Kopf schmerzt,

«Haltet diesen Kopf.»

««Wenn du auch Ach und Weh schreist,

««Wir vermögen ihn nicht zu heben.»»

«Mein Kopf schmerzt, haltet ihn.

«Wenn ihr nicht haltet, wird der Kopf herunterfallen,

«Wenn jener Kopf herunterfällt,

«So wird der zwölfköpfige Jälbägän

«Uns sehen.

«Wenn er uns sieht, wird er uns essen.»

Die beiden Brüder nahmen ihn,

Sie konnten ihn aber nicht heben.

Er rollte herab,

Vor den Jälbägän fiel er hin.

«Ach! was heisst das?» sagte er.

«Der grosse Gott hat wohl Krieg?

«Da kommt wohl ein Heer?

«Dass des Jälbägän Kopf abgeschlagen,

«Vom Himmel zur Erde niederfiel.»

Jälbägän blieb liegen,

Sass am Fusse des Baumes.

Zu seinen Brüdern sprach der Thörichte:

«Mein Kreuz thut mir weh!

«Nehmt die hineingesteckte Hand!»

««O weh! o weh!»» sprachen jene,

««Wir können sie nicht heben.»»

«O weh! o weh!

«Wenn ihr sie nicht hebt, fällt die Hand nieder.

«Ich muss meinen Gürtel aufmachen. –

««Wenn die Hand herabfällt, wird er uns essen.

««Nein, sprachen sie, wir vermögen sie nicht zu halten.»

«Ich werde die Hand herabfallen lassen», sprach er.

««O weh! o weh!»» sprachen sie,

««Wenn du sie herabfallen lässt,

««Werden wir unsere Köpfe verlieren.»

Er liess sie herabfallen,

Ein Ast des Baumes zerbrach,

Mit der Hand fiel er nieder.

«Der Krieg kommt», sagend fürchtete sich Jälbägän,

Weherufend sass er da,

Der zwölfköpfige Jälbägän.

Der thörichte Bruder sprach:

«Mein Fuss thut mir wehe,

«Haltet diesen Fuss.»

««Wir vermögen ihn nicht zu heben.»

Die Brüder hielten den Fuss nicht,

Er warf ihn hinunter.

Des Baumes Zweige brachen ab.

Der zwölfköpfige Jälbägän,

«Es ist Krieg», sprechend entfloh er.

Die drei Brüder stiegen herunter,

Der Thörichte verfolgte den Jälbägän,

Vermochte ihn nicht zu erreichen.

Die drei Brüder kehrten zurück,

Kamen zum Hause des Jälbägän,

Lebten in seinem Hause.

Die beiden Brüder sprachen:

«Obgleich du thöricht gewesen,

«Hast du unsere Seele errettet.

«Wir, die wir klug gewesen,

«Haben uns nicht zu helfen gewusst.»

Sie verneigten sich vor ihrem Bruder.

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