Wenn Israels Vorgehen in Gaza kein Völkermord ist, was ist dann Völkermord? - Sicht vom Hochblauen
www.sicht-vom-hochblauen.de - Evelyn Hecht-GalinskiBrandbrief der UNO
Wenn Israels Vorgehen in Gaza kein Völkermord ist, was ist dann Völkermord?
15 UNO-Organisationen und private Helfer haben in einem gemeinsamen Brandbrief erklärt, die Lage in Nordgaza sei „apokalyptisch“ und die gesamte Bevölkerung in Nordgaza sei „unmittelbar“ vom Tod bedroht. Wenn das kein Völkermord ist, was ist dann eigentlich Völkermord?
Thomas Röper
Ich nehme schon lange kein Blatt mehr vor den Mund bezeichne Israels Vorgehen in Gaza, im Westjordanland und nun auch im Libanon als „Vernichtungskrieg“ und „Völkermord“. Warum Israels Vorgehen gemäß der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 schon lange die Tatbestände des Völkermordes erfüllt, ist schnell und für jeden verständlich erklärt, denn die Konvention definiert Völkermord in Artikel II als „eine der folgenden Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:
a) das Töten eines Angehörigen der Gruppe
b) das Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen der Gruppe
c) die absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen
d) die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung
e) die zwangsweise Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“
Man kann also kaum bestreiten, dass die israelische Armee und Regierung derzeit vor den Augen der Welt einen Völkermord begehen, wobei der Westen Israel tatkräftig politisch und auch mit Waffenlieferungen unterstützt wird.
Hinzu kommt, dass Israel kürzlich das UNO-Palästinenserhilfswerk UNRWA verboten hat, ohne das selbst die aktuell minimale humanitäre Hilfe für Gaza nicht aufrecht erhalten werden kann, was wahrscheinlich für hunderttausende Menschen den Tod bedeutet, denn schon im Dezember 2023 wurde gewarnt, dass einer halben Million Palästinensern wegen der israelischen Hungerblockade der Hungertod droht und schon Anfang März 2024 hat die UNO in Gaza die ersten Hungertoten gemeldet.
Nun haben 15 UNO-Organisationen und private Helfer in einem gemeinsamen Brandbrief erklärt, die Lage in Nordgaza sei „apokalyptisch“ und die gesamte Bevölkerung in Nordgaza sei wegen Israels Vernichtungskrieg „unmittelbar“ vom Tod bedroht. Ich werde zunächst die in meinen Augen wichtigsten Vorwürfe aus dem Brief zitieren, anschließend werde ich den Brief komplett übersetzen.
In dem Brief heißt es beispielsweise, „allein in den letzten Tagen wurden Hunderte von Palästinensern getötet, die meisten von ihnen Frauen und Kinder“. Aber wo ist in den westlichen Medien der Aufschrei, wenn Israel hunderte Frauen und Kinder in wenigen Tagen abschlachtet? Wo sind die Sanktionen des Westens gegen Israel, das ganz offensichtlich ein ganzes Volk ausrotten will und dabei gezielt Krankenhäuser, Schulen und Flüchtlingslager bombardiert?
Dass Israel bewusst Krankenhäuser, Schulen und Flüchtlingslager angreift, steht auch in dem Brief, denn dort heißt es beispielsweise, „Krankenhäuser sind fast vollständig von der Versorgung abgeschnitten und wurden angegriffen, wobei Patienten getötet, lebenswichtige Geräte zerstört und lebensrettende Dienste unterbrochen wurden“. Außerdem heißt es, sogar in Krankenhäusern fänden Kämpfe statt und Krankenhäuser seien „Schlachtfelder“. Außerdem heißt es in dem Brief:
„Dutzende von Schulen, die als Notunterkünfte dienen, wurden bombardiert oder zwangsevakuiert. Zelte, in denen vertriebene Familien untergebracht sind, wurden beschossen und Menschen bei lebendigem Leib verbrannt. (…) Rettungsteams wurden gezielt angegriffen (…) Zivilisten werden angegriffen, wenn sie versuchen, sich in Sicherheit zu bringen“
Außerdem verschwinden offenbar massenhaft Palästinenser spurlos, denn in dem Brief heißt es auch, „dass Männer und Jungen verhaftet und an unbekannte Orte gebracht werden, um dort festgehalten zu werden“. Zusammenfassend schreiben die UNO und andere humanitäre Organisationen:
„Die gesamte palästinensische Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen ist in unmittelbarer Gefahr, an Krankheiten, Hunger und Gewalt zu sterben.“
Wenn das kein Völkermord ist, was ist dann bitte schön Völkermord?
Es folgt die Übersetzung des Briefes.
Beginn der Übersetzung:
Wir, die Leiter von 15 Organisationen der Vereinten Nationen und humanitären Organisationen, fordern erneut alle im Gazastreifen kämpfenden Parteien auf, die Zivilbevölkerung zu schützen, und appellieren an den Staat Israel, seine Angriffe auf den Gazastreifen und auf die humanitären Helfer, die zu helfen versuchen, einzustellen.
Die Situation, die sich im nördlichen Gazastreifen abspielt, ist apokalyptisch. Das Gebiet wird seit fast einem Monat belagert, wobei grundlegende Hilfe und lebensrettende Güter verweigert werden, während Bombardierungen und andere Angriffe andauern. Allein in den letzten Tagen wurden Hunderte von Palästinensern getötet, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, und Tausende wurden erneut zwangsweise vertrieben.
Krankenhäuser sind fast vollständig von der Versorgung abgeschnitten und wurden angegriffen, wobei Patienten getötet, lebenswichtige Geräte zerstört und lebensrettende Dienste unterbrochen wurden. Gesundheitspersonal und Patienten wurden in Gewahrsam genommen. Auch in Krankenhäusern wurden Kämpfe gemeldet.
Dutzende von Schulen, die als Notunterkünfte dienen, wurden bombardiert oder zwangsevakuiert. Zelte, in denen vertriebene Familien untergebracht sind, wurden beschossen und Menschen bei lebendigem Leib verbrannt.
Rettungsteams wurden gezielt angegriffen und bei ihren Versuchen, die unter den Trümmern ihrer Häuser begrabenen Menschen zu bergen, behindert.
Die Bedürfnisse der Frauen und Mädchen sind überwältigend und werden täglich größer. Wir haben den Kontakt zu denen verloren, die wir unterstützen, und zu denen, die lebenswichtige Dienste im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der geschlechtsspezifischen Gewalt anbieten.
Und wir haben Berichte erhalten, dass Zivilisten angegriffen werden, wenn sie versuchen, sich in Sicherheit zu bringen, und dass Männer und Jungen verhaftet und an unbekannte Orte gebracht werden, um dort festgehalten zu werden.
Auch das Vieh stirbt, Anbauflächen wurden zerstört, Bäume niedergebrannt und die Infrastruktur der landwirtschaftlichen Nahrungsmittelversorgung wurde dezimiert.
Die gesamte palästinensische Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen ist in unmittelbarer Gefahr, an Krankheiten, Hunger und Gewalt zu sterben.
Die humanitäre Hilfe kann aufgrund der Zugangsbeschränkungen nicht mit dem Ausmaß des Bedarfs Schritt halten. Grundlegende, lebensrettende Güter sind nicht verfügbar. Die humanitären Helfer können ihre Arbeit nicht sicher verrichten und werden von den israelischen Streitkräften und durch die Unsicherheit daran gehindert, die Menschen in Not zu erreichen.
Ein weiterer Schlag für die humanitäre Hilfe ist, dass sich die Polio-Impfkampagne aufgrund der Kämpfe verzögert hat, wodurch das Leben der Kinder in der Region gefährdet ist.
Und diese Woche hat das israelische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das das UNRWA verbieten und seine Vorrechte und Immunitäten aufheben würde. Würden solche Maßnahmen umgesetzt, wäre das eine Katastrophe für die humanitäre Hilfe im Gazastreifen, würde der Charta der Vereinten Nationen diametral entgegenstehen, hätte möglicherweise schwerwiegende Auswirkungen auf die Menschenrechte von Millionen Palästinensern, die auf die Hilfe des UNRWA angewiesen sind, und würde gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen Israels verstoßen.
Lassen Sie es uns ganz klar sagen: Es gibt keine Alternative zum UNRWA.
Die eklatante Missachtung grundlegender Menschlichkeit und der Gesetze über Krieg muss aufhören.
Das humanitäre Völkerrecht, einschließlich der Regeln der Unterscheidung, der Verhältnismäßigkeit und der Vorsichtsmaßnahmen, muss beachtet werden. Die Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts hängen nicht von Gegenseitigkeit ab. Keine Verletzung durch eine Partei entbindet die andere Partei von ihren rechtlichen Verpflichtungen.
Die Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die Überreste der zivilen Infrastruktur in Gaza müssen aufhören.
Die humanitäre Hilfe muss erleichtert werden, und wir fordern alle Parteien auf, den betroffenen Menschen ungehinderten Zugang zu gewähren. Außerdem muss die Einfuhr von Handelsgütern in den Gazastreifen ermöglicht werden.
Die Verwundeten und Kranken müssen die notwendige Versorgung erhalten. Medizinisches Personal und Krankenhäuser müssen geschont werden. Krankenhäuser dürfen sich nicht in Schlachtfelder verwandeln.
Unrechtmäßig inhaftierte Palästinenser müssen freigelassen werden.
Israel muss den vorläufigen Anordnungen und Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs nachkommen.
Die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen müssen die Geiseln unverzüglich und bedingungslos freilassen und sich an das humanitäre Völkerrecht halten.
Die Mitgliedstaaten müssen ihr Druckmittel einsetzen, um die Einhaltung des Völkerrechts zu gewährleisten. Dazu gehört auch die Zurückhaltung des Transfers von Waffen, wenn eindeutig die Gefahr besteht, dass diese Waffen unter Verletzung des Völkerrechts eingesetzt werden.
Die gesamte Region befindet sich am Rande eines Abgrunds. Eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten und ein dauerhafter, bedingungsloser Waffenstillstand sind längst überfällig.
Unterszeichner:
- Ms. Joyce Msuya, Acting Emergency Relief Coordinator and Under-Secretary-General for Humanitarian Affairs (OCHA)
- Ms. Nimo Hassan, MBE, Chair, International Council of Voluntary Agencies (ICVA)
- Mr. Jamie Munn, Executive Director, International Council of Voluntary Agencies (ICVA)
- Ms. Amy E. Pope, Director General, International Organization for Migration (IOM)
- Mr. Volker Türk, United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR)
- Ms. Abby Maxman, President and Chief Executive Officer, Oxfam
- Ms. Paula Gaviria Betancur, United Nations Special Rapporteur on the Human Rights of Internally Displaced Persons (SR on HR of IDPs)
- Mr. Achim Steiner, Administrator, United Nations Development Programme (UNDP)
- Ms. Anacláudia Rossbach, Executive Director, United Nations Human Settlement Programme (UN-Habitat)
- Mr. Filippo Grandi, United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR)
- Dr. Natalia Kanem, Executive Director, United Nations Population Fund (UNFPA)
- Ms. Catherine Russell, Executive Director, UN Children’s Fund (UNICEF)
- Ms. Sima Bahous, Under-Secretary-General and Executive Director, UN Women
- Ms. Cindy McCain, Executive Director, World Food Programme (WFP)
- Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Director-General, World Health Organization (WHO)
Ende der Übersetzung
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