Verluste: Europas Windenergie stürzt in eine Krise

Verluste: Europas Windenergie stürzt in eine Krise

Karli Stemmler

Die Windenergie wird seit Jahren in Europa als Prestigeprojekt angesehen und staatlich unterstützt. Nun befinden sich führende Konzerne in finanziellen Problemen.

Eigentlich müssten die Zeiten für die Windenergiebranche richtig gut sein, vor allem in Europa. Die europäischen Regierungen und die EU fördern seit langem Offshore-Windprojekte und diese Bemühungen wurden infolge des Angriffs Russlands auf die Ukraine und die Debatte um Alternativen zu russischem Erdgas noch beschleunigt und intensiviert. Noch im August preiste die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die Windenergie und verkündete: „Wir brauchen saubere, billigere und einheimische Energie.“

Anhaltende Probleme in der Lieferkette

Die Realität in der Windenergiebranche sieht jedoch düster aus. Europas Windturbinenhersteller, die Kronjuwelen der grünen Energieindustrie in der Region und eine Quelle der Fertigungsexpertise, melden Verluste und entlassen Mitarbeiter. Ihre Probleme sind zum Teil auf anhaltende Probleme in den Lieferketten und der Konkurrenz durch chinesische Hersteller zurückzuführen.

Am 10. November meldete Siemens Gamesa Renewable Energy, ein in Madrid ansässiges Unternehmen, das der führende Hersteller von Offshore-Windturbinen ist,  einen Jahresverlust von 940 Millionen Euro. Das Unternehmen hat ein Kostensenkungsprogramm angekündigt, das wahrscheinlich zum Abbau von 2.900 Arbeitsplätzen beziehungsweise fast 11 Prozent der Belegschaft führen wird. Das Programm soll laut Siemens Gamesa am 1. Januar 2023 starten.

Verluste auch bei Vestas und General Electric

Siemens Gamesa ist nicht der einzige Konzern aus der Branche, der Verluste schreibt. Das dänische Unternehmen Vestas Wind Systems, seines Zeichens weltweit größter Turbinenhersteller, meldete Anfang November  einen Verlust von 147 Millionen Euro (etwa 151 Millionen Dollar) für das dritte Quartal. Im gleichen Quartal vor einem Jahr hatte man noch einem Gewinn von 116 Millionen Euro erwirtschaftet. Vestas erzielte einen Umsatz von 3,91 Milliarden Euro. Das ist ein Rückgang von 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Der Umsatzrückgang ist auf geringere Auslieferungen in Nordeuropa und den USA sowie auf verschiedene Verzögerungen aufgrund von Herausforderungen bei Transport und Projektdurchführung zurückzuführen. Die Entscheidung von Vestas, sich aus dem russischen Markt zurückzuziehen und die Aktivitäten in der Ukraine zu pausieren, führte dazu, dass die Lieferungen in diesen beiden Märkten geringer ausfielen als ursprünglich erwartet.

Auch General Electric, ein großer Hersteller von Windturbinen in den Vereinigten Staaten und in Europa, hat mit seinen Geschäften im Bereich der erneuerbaren Energie zu kämpfen. Das Unternehmen erklärte im vergangenen Monat, dass seine Sparte für erneuerbare Energien in diesem Jahr wahrscheinlich Verluste in Höhe von 2 Milliarden Dollar verzeichnen wird.

„Jeder Verkauf bedeutet acht Prozent Verlust“

Mehrere Probleme machen der Windenergiebranche zu schaffen, darunter steigende Material- und Transportkosten sowie logistische Probleme. Infolgedessen können früher vereinbarte Preise für Turbinen, die pro Stück Millionen von Dollar kosten und sich bei großen Offshore-Windparks auf Milliarden summieren, bei der Auslieferung der Anlagen zu enormen Verlusten für die Hersteller führen. Henrik Andersen, Vorstandsvorsitzender von Vestas, erklärt das Problem: „Jedes Mal, wenn wir eine Turbine verkaufen, verlieren wir acht Prozent.“

Gleichzeitig hat der Wettlauf um größere und leistungsstärkere Turbinen dazu geführt, dass die Hersteller Hunderte Millionen Dollar für die Entwicklung neuer Modelle ausgeben, aber nicht genug Maschinen verkaufen, um die Kosten zu decken. Auch die wachsende Konkurrenz aus China, wo einheimische Turbinenhersteller, die sich jahrelang um den chinesischen Markt gekümmert haben, beginnen, ihre Anlagen ins Ausland zu verkaufen, lässt die Alarmglocken schrillen.

Westliche Turbinenhersteller fürchten die Konkurrenz aus China

Einige westliche Turbinenhersteller befürchten, dass sich die bitteren Erfahrungen mit Solarpanels wiederholen könnten, einer Technologie, die zuerst im Westen entwickelt wurde, jetzt aber weitgehend von China und anderen asiatischen Herstellern dominiert wird. Endri Lico, leitender Analyst für Windkraft bei der Beratungsfirma Wood Mackenzie bezeichnet die Situation für die westlichen Turbinenhersteller als dramatisch: „Sie sind in Schwierigkeiten. Wir sprechen hier von einem massiven Verlust für die Branche.“

Die schlechte finanzielle Leistung wirft Fragen über die Zukunft der Windindustrie im Westen auf und darüber, ob die sehr ehrgeizigen Pläne von Regierungen und Energieunternehmen zur Entwicklung ausgedehnter Windparks in Europa und den Vereinigten Staaten verwirklicht werden können. Jochen Eickholt, der Vorstandsvorsitzende von Siemens Gamesa, sagte die Branche müsse Geld verdienen um Turbinen zu entwickeln, zu bauen und zu installieren. Aber im Moment sind wir das nicht.“

China ist das Epizentrum der globalen Windlieferkette

Zwar haben die chinesischen Hersteller außerhalb ihres Heimatlandes bisher nur bescheidene Erfolge erzielt, doch Analysten zufolge haben sie die großen Absatzmengen in China genutzt, um ihre Fertigung zu verbessern und Arbeitskräfte auszubilden, die Turbinen zu Preisen liefern können, die weit unter denen ihrer westlichen Konkurrenten liegen. Siemens Games warnte in einem Papier vor der Konkurrenz aus China und bat die europäischen Regierungen um Unterstützung: „Europa sieht sich nun mit der sehr realen Möglichkeit konfrontiert, dass die Energiewende in der EU von China gestaltet wird.“

Chinesische Unternehmen produzieren bereits bis zu 70 Prozent der Komponenten, aus denen die im Westen verwendeten Turbinen bestehen. „China ist das Epizentrum der globalen Windlieferkette bezogen auf die Hersteller von Komponenten".

Europa befindet sich in einem Dilemma

"Es ist vielleicht ein bisschen unsinnig, sich hinzusetzen und die Ziele für 2030 und 2040 anzupassen, denn damit wird die derzeitige Energiekrise in Europa nicht angegangen.“ Für Analysten ist klar, wie man vorgehen muss, um diese Ziele zu erreichen. Die derzeitigen Installationsraten müssen stark beschleunigt werden. Für eine Industrie, die sich möglicherweise auf dem Rückzug befindet, könnte es jedoch schwierig werden, das Tempo zu erhöhen.

Europa befindet sich in einem Dilemma: Soll es die heimische Turbinenproduktion unterstützen und damit möglicherweise die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verlängern, oder sich stattdessen alternativen Quellen für die Ausrüstung zuwenden? Es ist eine Frage der Prioritäten.

Die Situation und die Schwierigkeiten der Windturbinenbetreiber zeigen, in welch einer Sackgasse sich Europa momentan befindet. Es ist unklar, in welche Richtung sich die europäische Wirtschaft und damit der Kontinent bewegt. Es bleibt abzuwarten, welche Prioritäten im Bereich Energie am Ende für die Entscheider in Europa wichtiger sind und für welchen Weg man sich entschließt.






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