Ukraine setzt Russland an der Front und im Hinterland unter Druck. 

Ukraine setzt Russland an der Front und im Hinterland unter Druck. 

Nico Lange

Die Ukraine wendet langsam die Lage an der Südfront. Russland setzt weiterhin auf Befestigungen und frühe Gegenangriffe, steht aber vor dem Dilemma, durch Verstärkungen andere Frontabschnitte zu schwächen. Wie ist die Lage und was wird gebraucht?

Seit nunmehr vier Wochen kommt die Ukraine an der Südfront stetig voran und schwächt gleichzeitig systematisch russische Artillerie, Logistik, Luftverteidigung, Luftstreitkräfte, Führung und Kommunikation.

 Die Ukraine bildet einen Schwerpunkt auf der Angriffsachse bei Robotyne. Mit dem Durchbruch der ersten, stark befestigten Verteidigungslinie schuf die Ukraine sich Freiraum, jetzt entweder an der östlichen Flanke bei Werbowe russische Stellungen und Befestigungen zu umgehen oder diese direkt anzugreifen.

Russland setzt weiter auf frühe Gegenangriffe, zog Verstärkungen aus schlagkräftigen VDV-Einheiten heran und unternimmt auch Gegenstöße auf Robotyne, verlor in den vergangenen vier Wochen aber dennoch am Ende jeden wichtigen Wegpunkt.

Durch das Heranziehen von Fallschirmjägern aus Kreminna muss Russland eine Schwächung in diesem Frontabschnitt in Kauf nehmen. Weitere russische Verstärkungen gegen den ukrainischen Hauptangriff östlich und südlich von Robotyne bedeuten weitere Schwächung an anderen Frontabschnitten.

Häufige Sorties der russischen Luftwaffe, Angriffe von Kampfhubschraubern und Drohnenangriffe bleiben an der gesamten Front für die Ukraine ein erhebliches Problem. Der Ukraine gelangen aber einige wichtige Abschüsse von Ka-52 Kampfhubschraubern.

An einigen Frontabschnitten erreicht die Ukraine durch das monatelange, akribische, systematische Ausschalten russischer Haubitzen und die fortwährende Bekämpfung der Munitionslogistik zum ersten Mal Parität oder sogar Übergewicht bei der Artillerie.

Die Ukraine erreicht derzeit bei Welika Nowosilka keine weiteren Fortschritte. Auch südlich von Bachmut gibt es aktuell kaum Veränderungen.

Russland setzt im Nordosten von Kupjansk Luftangriffe und Artilleriebeschuss fort. Die propagandistisch angekündigte russische “Großoffensive” ist in dem Gebiet jedoch bisher nicht erkennbar. Russland gelangen keine nennenswerten Geländegewinne.

Die Ukraine erreicht mit ihren Angriffen im russischen Hinterland im Süden, auf der Krim und teilweise tief in russischem Gebiet zunehmend Erfolge gegen russische Luftwaffenstützpunkte und Tu-22M-Bomber sowie gegen Luftverteidigungssysteme und Radaranlagen.

Die Ukraine braucht derzeit mit Priorität Ersatzteile für die gelieferten Schützenpanzer, Kampfpanzer und Haubitzen. Gleichzeitig sollten zusätzlich zu den Hubs im Baltikum, Polen und der Slowakei Instandsetzung und Reparatur möglichst nahe an die Front gezogen werden.

Erste gemeinsame Reparaturbetriebe westlicher und ukrainischer Unternehmen in der Ukraine sind ein sinnvoller und hilfreicher Schritt. Wochenlanger Ausfall von Technik für Reparaturen oder Wartung durch Zugtransporte über hunderte von Kilometern und Wartezeiten schwächt die Schlagkraft und frustriert die Truppe.

Die Ukraine braucht eine viel höhere Produktionskapazität bei Munition, vor allem bei  Artilleriemunition. Die Ukraine hat selbst die Produktion von 155-mm-Artilleriemunition aufgenommen, braucht aber wesentlich mehr ständige Nachlieferung auch von den europäischen Partnern.

Munition für HIMARS/Mars II/M270 wird ebenso gebraucht wie die Verstetigung des Nachschubs bei Marschflugkörpern, auch durch Taurus, um die erfolgreiche Strategie der Bekämpfung der russischen Logistik in der Südukraine und auf der Krim mit Reichweiten zwischen 70-350km durchhalten zu können.

Die Ukraine braucht weiter mehr Luftverteidigungssysteme und Lenkflugkörper für die Luftverteidigung. Die Ukraine braucht mehr und bessere Drohnenabwehr, auch durch elektronische Kampfführung, da Russland in diesem Bereich leistungsfähiger wird.

Die Ukraine braucht mehr Mittel gegen die leistungsstarke russische elektronische Kampfführung, die für ukrainische Drohnen, aber auch für GPS-gesteuerte Munition und Waffensysteme und die ukrainische Kommunikation ein erhebliches Problem darstellt.

Die Ukraine steigert stetig ihre eigene Drohnenproduktion und entwickelt fortwährend neue Drohnentypen. Sie braucht Unterstützung mit größtmöglichen Stückzahlen kritischer Komponenten für diese Drohnen für Optik, Sensoren, Motoren und Schutz gegen Jamming.

Unkenrufe über ein vermeintliches Scheitern der ukrainische Gegenoffensive waren verfrüht. Die Ukraine setzt Russland zunehmend sowohl an der Front als auch im Hinterland unter Druck. 

Die Ukraine wird den Druck auf Nachschub und Logistik der Russen im Süden absehbar so erhöhen können, dass sich die Frage stellen wird, ob und wie Russland einige dieser Gebiete halten kann. Das schließt massiven Druck auf den Nachschub von und zur Krim ein.

Statt Taktik und Strategie der Ukraine zu diskutieren, die westliche Partner nicht beeinflussen können, sollten die Unterstützer der Ukraine die Möglichkeiten für Instandsetzung und Reparatur schnell ausbauen, die Munitionsproduktion weiter erhöhen, weiteres Material liefern und dabei helfen, Infrastrukturen zu ertüchtigen.

Karte: @AndrewPerpetua

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