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05.07.2020
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Das Biber
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Wie ein Loverboy Mädchen für den Strich ködert
Er schickt sie anschaffen und sie macht mit – aus Liebe.
Auch dieses Bild wurde für die Geschichte nachgestellt. Die beiden Models sind nicht die Personen aus dem Artikel.
„Er weiß, dass er mich damit rumbekommt“
© SZ
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Lena ist 17, als sie ihren ersten Freund Amir ( alle Namen geändert ) beim Ausgehen kennenlernt. Sie ist zum ersten Mal richtig verliebt. „Er war eben so anders als die anderen Jungs in meiner damaligen Klasse. Er war so aufmerksam und nicht so kindisch“, erzählt sie.
Amir ist drei Jahre älter als Lena. Er lebt in derselben Stadt in Deutschland wie sie. Er geht nicht mehr zur Schule und macht auf Lena von Anfang an einen reifen Eindruck. Es dauert nicht lange, bis Lena einwilligt, mit ihm zu schlafen. „Er war sogar mein erster Kuss“, sagt sie. „Und viele meiner Freundinnen hatten zu der Zeit ihren ersten Freund und dann auch Sex, ich dachte mir nicht viel dabei“, erzählt sie. Ihre Eltern wissen nichts von ihrem Freund, sie will es ihnen erst erzählen, wenn es wirklich ernst ist – sie sind bei dem Thema etwas streng.
Eine Zeit lang ist alles rosig – Lena denkt, sie hätte auf Anhieb die Liebe ihres Lebens gefunden. Sie verbringen viel Zeit miteinander, er stellt sie seinen Freunden vor. Was sie zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Sie ist einem Loverboy zum Opfer gefallen. Loverboys sind junge Männer, die von organisierten Prostitutionsringen angeheuert werden. Sie finden jüngere Mädchen, die sie so lange manipulieren und von sich abhängig machen, bis diese für sie anschaffen gehen. Aus Liebe und Naivität. Wie bei Lena.
Sie ist kein Einzelfall: In Deutschland gibt es mittlerweile Vereine, die sich spezifisch mit der Prävention der Loverboy-Masche beschäftigen. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Opfer im Vorfeld verliebt gemacht werden, und da schaltet der Kopf zumindest für eine Zeit ab“, erzählt der Gründer des Vereins „Elterninitiative“ aus Düsseldorf. Die Organisation klärt über das Loverboy-Phänomen auf und berät betroffene Opfer und deren Eltern.
„Er wollte plötzlich immer öfter wissen, wo ich bin, mit wem, und was ich mache. Ich wusste aber nie, was er gerade macht oder wo er sich aufhält“, sagt sie. Er wird immer fordernder und ungeduldiger. Irgendwann erzählt er Lena, er hätte Schulden, die er nicht abbezahlen kann. Und sie könnte ihm helfen, an das Geld zu kommen, indem sie mit fremden Männern gegen Bezahlung schläft. „Zuerst habe ich nicht wirklich verstanden, dass er das überhaupt ernst meinen könnte. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt null Berührungspunkte mit diesem Milieu. Ich war da immerhin erst 17 Jahre alt. Aber irgendwie hat er mich dann überzeugt, das mitzumachen. Es war schrittweise. Er stellte es so dar, als ob das keine große Sache wäre, mit fremden Männern für Geld zu schlafen“, sagt sie.
Lena sucht die Gründe für seine plötzliche Wut und Launenhaftigkeit bei sich selbst. Genau zu dem Zeitpunkt hat der Loverboy sein Ziel schon erreicht: Sie willigt ein, sich für ihn zu prostituieren. In einem Laufhaus hat sie nie gearbeitet – sie war ja damals noch minderjährig. Die Freier kommen in die Wohnung eines Kumpels von Amir, den Lena auch schon länger kennt.
Ob sie sich noch an den ersten „Kunden“ erinnert? „Das erste Mal war das gar kein Sex. Ich bin einfach dagelegen. Er hat mich kurz angetatscht und dann hat er sich angezogen und ist aus dem Zimmer hinausgegangen. Das erste Mal war nicht schlimm. Schlimmer ist es dann mit der Zeit geworden“, sagt sie. „Aber es war nicht so, wie man sich das vorstellt, mit Puff und so. Drogen habe ich nie genommen, hat er auch nicht. Wir haben nur manchmal Gras geraucht. Ich war ja auch nicht am Straßenstrich. Aber ich habe es einfach gemacht und nicht wirklich mitgedacht. Heute graust mir, wenn ich daran denke, was in dieser Wohnung ( von Amirs Freund, Anm. d. Redaktion ) alles passiert ist“, berichtet das Mädchen. Das Geld hat er abkassiert, sie hat nie etwas davon gesehen.
Angst und Scham sind genau die Gründe dafür, warum sie keinem davon erzählt. Ein paar ihrer Freundinnen kennen Amir, nach außen hin scheint er ja nach wie vor wie der perfekte Freund. Ihrer Familie erzählt sie, sie würde bei ihren Freundinnen abhängen oder in die Stadt gehen, während sie mit fremden Männern für Geld schläft. Das Verhältnis zu ihren Eltern ist gut. Aber von ihrer Beziehung und von ihrem „Nebenjob“ wissen auch sie nichts.
„Tendenziell ist ein Mädchen, das sich gerade in einem problematischen Umfeld befindet oder in irgendeiner Krise steckt, natürlich angreifbarer. Deswegen ist die Masche ja auch so gemein. Die jungen Männer spielen sich als Held und Retter des Mädchens auf, der ihr einen Lebenssinn, nämlich die gemeinsame Beziehung und Zukunft, präsentiert und diesen Strohhalm ergreifen die Mädchen“, sagt Annika Schönhoff von der Berliner Präventionsorganisation „Liebe ohne Zwang“.
Lena kommt aus einem stabilen Umfeld – trotzdem beginnt sie irgendwann, ein Doppelleben zu führen. Aus Liebe zu ihrem Freund, der nun auch ihr Zuhälter geworden ist. Vormittags sitzt sie ganz normal im Unterricht und abends ist sie eine minderjährige Prostituierte. „Ich habe ja irgendwo gewusst, dass das nicht normal sein kann. Aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben“, gesteht sie. Sie weiß lange nicht, dass das, was sie hier tut, Zwangsprostitution ist. Nach außen hin kriegt sie ihr Doppelleben auf die Reihe. Ihre Noten lassen nicht nach und sie lässt sich nichts anmerken.
„Viele Loverboys achten darauf, dass das Mädchen ihr Leben augenscheinlich erst einmal ganz normal weiterführt, was früher oder später natürlich nicht mehr geht“, so Annika Schönhoff von „Liebe ohne Zwang“. Aber wie kommen die Loverboys überhaupt zu ihren Opfern? „In der Schule oft über sogenannte Mittelsmänner, also Jungen aus ihrer Klasse, die mit dem Loverboy „befreundet“ sind – auch sie können emotional von ihm manipuliert und für seine Zwecke missbraucht werden und so betroffen sein“, sagt sie. Ganz häufig auch über das Internet, da der Aufwand geringer sei: „Eine Nachricht copy and paste an 1000 Mädchen versandt und wenn eine antwortet, reicht das ja vorerst schon“, sagt Schönhoff.
Gehen auf internationale Privatschulen – die „Brennpunktschulen“ viel stärker ähneln, als man denkt.
Eine von Tausend ist Lena nicht. Irgendwann wird ihr klar, dass sie nicht die einzige ist, die für ihren Freund und seine Kumpels anschaffen geht. Amir meint anfangs, sie müsse das nicht lange machen. Aber es nimmt einfach kein Ende. Sie will aussteigen, aber es scheint zuerst unmöglich. Sie hat Angst davor, was er tun würde, wenn sie aufhört, und andererseits liebt sie ihn noch irgendwie. Genau das ist das Problem an der „Loverboy-Methode“: Die Opfer sehen ihre Zuhälter oft nicht als solche.
Wie viele Mädchen der Loverboy-Masche zum Opfer fallen, ist nicht bekannt, da die meisten Fälle nicht angezeigt werden. Und wenn, gestaltet sich auch das oft schwierig. „Die Mädchen werden so gefügig gemacht, dass sie noch im Gerichtssaal von ihrem Freund sprechen und nicht von ihrem Täter“, heißt es seitens der Eilod - einer Düsseldorfer Elterninitative für Loverboy- Opfer. „Loverboys achten auf ihr Äußeres und ihr Auftreten, sie wollen von den Mädchen als gutaussehend wahrgenommen werden, tragen die neuesten Klamotten und geben auch für sie ungewöhnlich viel Geld aus. Sie sind jung, damit der Altersunterschied zu den Mädchen, die teilweise erst elf Jahre alt sind, nicht allzu groß ist. Es gibt Loverboys, die alleine agieren, meistens steht jedoch etwas Größeres dahinter, wie eine Organisation, also organisiertes Verbrechen“, so Schönhoff von „Liebe ohne Zwang“.
Dass es viel zu viele Mädchen sind, die dieser Masche zum Opfer fallen, sieht man auf der Internetseite der deutschen Organisation „No Loverboys.“ Der Verein ist eine Anlaufstelle für Opfer und Angehörige und betreibt auch Prävention. In dem Gästebuch auf der Internetseite des Vereins liest man Einträge von jungen Frauen, die dringend Hilfe brauchen – manche von ihnen nehmen die Hilfe an, manche wiederum nicht.
So schreibt zum Beispiel eine Userin mit dem Nicknamen „Mona“, die laut eigener Angaben mit 13 auf dem Kinderstrich in Berlin auf der Bülowstraße stand und auch Opfer der Loverboy-Masche war, über ihre Erfahrungen. „Nun bin ich mit 17 (Jahren) immer noch da, sehe Zwölfjährige, die hier stehen, sich Männern anbieten, damit sie ihren (sic.) „Freund“ aus den Schulden helfen können. Ich könnte jedes mal (sic.) heulen, wenn ich diese unschuldigen Mädchen sehe, die nur noch verliebt sind und alles für ihren „Freund“ machen würden, so wie ich.“ Ihr Loverboy hat ihr damals Schuhe, Kleidung und ein Handy gekauft. Sie nahm es an, weil sie verliebt war. „Ich denke, ich habe damals einfach Liebe und Zuneigung gebraucht und die habe ich von ihm bekommen, auch noch manchmal heute. Er führt mich manchmal zum Essen aus, geht mit mir ins Theater. Weil er weiß das (sic.) ich das liebe und er damit mich immer rumbekommt…“, schreibt sie in ihrem Eintrag.
Die jungen Frauen sind sich also durchaus bewusst, dass das, was sie hier tun, keinesfalls normal ist. Der Ausstieg aber gestaltet sich schwierig, wenn das Opfer psychisch schon so abhängig von seinem Zuhälter ist. So schreibt „Shirin“ in dem Forum: „Ja, ich gehe zu meinem Loverboy zurück !!! Er hat mich vergewaltigt, geschlagen, verkauft! Ich war ein paar Jahre raus, aber ich komme in der Gesellschaft nicht mehr klar. Mir fehlen Jahre im Lebenslauf. Mir fehlen Freunde. (…)“
So hätte Lenas* Geschichte auch enden können. Aber es kommt anders: Lena zieht im Sommer nach ihrem Schulabschluss in eine andere Stadt in Deutschland, um mit der Uni zu beginnen. Das ist der Befreiungsschlag, auf den sie so lange gewartet hatte. Amir versucht sie anfangs noch zu kontaktieren, er will sie bei sich behalten. Er merkt aber, dass er immer weniger Kontrolle über sie hat, da sie einfach physisch nicht mehr da ist. Lena schafft es, sich nach und nach von ihm emotional abzukapseln – es fällt ihr leichter, als sie in ein neues Umfeld kommt und er nicht mehr ihren Alltag bestimmt. Als er das merkt, gibt er irgendwann auf. „Er hatte ja noch genug andere Mädchen, die auf die Masche reingefallen sind“ , sagt sie. „Und es werden noch neue dazukommen.“ Dennoch hat sie gemischte Gefühle, wenn sie daran denkt, dass sie ihm in ihrer Heimatstadt begegnen könnte, wenn sie ihre Eltern in den Ferien besucht.
Aber daran denkt sie vorerst nicht, sondern versucht, alles hinter sich zu lassen und ihre Zukunft zu planen – ohne ihn. Sie hat Amir während der beinahe zwei Jahre ihrer Bekanntschaft kein einziges Mal mit der Polizei gedroht, die Scham ist für sie zu groß. Auch ihre Eltern wissen bis jetzt nichts von all dem, was sie monatelang gemacht hat. Angezeigt hat sie ihn bis heute nicht.
*Unsere Redaktion kooperiert mit biber – was wir bei JETZT ziemlich leiwand finden. Als einziges österreichisches Magazin berichtet biber direkt aus der multiethnischen Community heraus – und zeigt damit jene unbekannten, spannenden und scharfen Facetten Wiens, die bisher in keiner deutschsprachigen Zeitschrift zu sehen waren. biber lobt, attackiert, kritisiert, thematisiert. Denn biber ist "mit scharf". Für ihre Leserinnen und Leser ist biber nicht nur ein Nagetier. Es bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer" und hat so in allen Sprachen ihres Zielpublikums eine Bedeutung. Hier könnt ihr die Ausgabe sehen, in der der Text zuerst erschien :
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zum ersten Mal am 23. September 2018 und wurde am 5. Juli 2020 noch einmal aktualisiert veröffentlicht.
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