Täuschungen, Ablenkungen und der Beginn der Offensive

Täuschungen, Ablenkungen und der Beginn der Offensive

Nico Lange

Russlands Angriffe kulminierten mit der vollständigen Eroberung Bachmuts. Die Ukraine greift nach der Initiative und beginnt offensive Operationen. Wie ist die Lage und was wird gebraucht?

Im Nordosten gibt es an der Grenze zwischen der Ukraine und den russischen Gebieten Brjansk und Belgorod immer wieder kleinere Zusammenstöße. Ukrainische Täuschungsmanöver und Aktionen auf russischem Gebiet sorgen für hohe Nervosität auf der russischen Seite.

Nach den aufsehenerregenden Aktionen russischer Anti-Putin-Paramilitärs zog Russland Reserven aus dem Gebiet Kreminna hinter der Front in der Ukraine ab und verlegte sie als Verstärkung ins Gebiet Belgorod.

Entlang der Grenze zu Russland heben die Ukrainer immer wieder zum Schein Stellungen aus, deuten vermeintliche Angriffe an, bringen Artillerie-Attrappen in Stellung und fahren zeitweise mit gepanzerten Fahrzeugen auf die Grenze zu und wieder weg. Die russische Seite reagiert hektisch und verunsichert.

An der Grenze zwischen den Oblasten Charkiw und Luhansk hält die Ukraine weiter einen Brückenkopf östlich des Oskil-Flusses. Russland positionierte hier starke Kräfte in strategischer Verteidigung.

Am Frontabschnitt zwischen Lyman und Kreminna kam es in den letzten Monaten nicht mehr zu Verschiebungen. Russland steht zwischen Kreminna und Rubischne in strategischer Verteidigung und versucht am anderen Ufer des Siwerskyj Donez bei Bilohoriwka zur Verteidigung überzugehen.

Durch die vollständige Einnahme Bachmuts ist Siwersk von drei Seiten eingeschlossen. Die Anhöhen bei Siwersk wären jedoch für Russland sehr schwer und nur unter sehr hohen Verlusten zu erobern. 

Um Bachmut herum konzentriert sich die Ukraine auf die Eindämmung eines möglichen weiteren Vordringens russischer Kräfte auf den Straßen in Richtung Siwersk nach Norden und Richtung Slowjansk nach Nordwesten. Für Versuche einer ukrainischen Umfassung oder gar Rückeroberung Bachmuts gibt es keine Anzeichen.

Westlich des seit langem von drei Seiten eingeschlossenen Awdijiwka dämmt die Ukraine derzeit weiteres russisches Vordringen ein. Auch in Marjinka scheint der russische Angriff kulminiert.

Bei Wuhledar, wo es seit großen Niederlagen zweier russischer Marineinfanteriebrigaden vor einigen Monate ruhig war, intensivieren sich derzeit die Gefechte wieder.

Im gesamten südlichen Abschnitt zwischen dem Dniproufer bei Saporischschja und Wuhledar gibt es aufgrund starker Regenfälle an der Frontlinie derzeit kaum Aktivitäten. 

Die Ukraine führt im gesamten Süden mit Luftschlägen intensive Shaping Operations durch und kann dabei mit Storm Shadow auch endlich Waffen mit höheren Reichweiten einsetzen. 

Ukrainische Schläge gegen Gefechtsstände, Feldlager und Depots erfolgten in Wolnowacha, Mariupol, an der Küste des Asowschen Meeres zwischen Mariupol und Berdiansk sowie in Berdiansk, Tokmak und Melitopol. 

Während die Ukraine systematische Feuervorbereitungen in die Richtungen Wuhledar-Wolnowacha-Mariupol und Saporishje-Tokmak-Melitopol durchführt, greift Russland mit Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen intensiv Kyjiw und andere Städte an.

Russland gelang mit einem Marschflugkörper ein empfindlicher Schlag gegen ein ukrainisches Flugfeld bei Chmelnyzkyj.

Die Ukraine begleitet die beginnenden Offensivoperationen mit einer schnellen Folge aus Manövern und Aktionen zur Täuschung, Ablenkung und psychologischen Verunsicherung. Dazu gehören auch wiederholte Langstreckeneinsätze von Drohnen ukrainischer Bauart.

Ukrainische Aktionen und Aktionen mit wahrscheinlicher ukrainischer Unterstützung finden auch auf russischem Staatsgebiet statt. Die Ukraine überschreitet systematisch vermeintliche rote Linien. Viele Eskalationsbefürchtungen erweisen sich dabei empirisch als unbegründet.

Nach Lieferung und erfolgreichem Einsatz von Storm Shadow Marschflugkörpern braucht die Ukraine ständigen Nachschub auch bei Waffen und Munition mit hohen Reichweiten zur Fortsetzung ihrer systematischen Operationen. Dazu gehören französische SCALP-EG und deutsch-schwedische EPD-150 Taurus.

Deutschland sollte nicht die Lieferung von ATACMS durch die USA zu einer Vorbedingung für die Lieferung von Taurus machen, sondern gemeinsam mit UK und Frankreich europäische Führung zeigen und zugleich die transatlantische Lastenteilung im Vorfeld des NATO-Gipfels in Vilnius verbessern.

Die Ukraine braucht weiter Mehrzweckkampfflugzeuge, Luftverteidigungsysteme und mehr Systeme zur Drohnenabwehr. Auch ein neuer Bedarf an Kampfhubschraubern könnte entstehen, wenn der Krieg durch einen ukrainischen Frontdurchbruch beweglicher wird.

Die Ukraine braucht Massen billiger, kommerzieller Drohnen, vor allem mit Nachtsichtfähigkeiten und größtmögliche Mengen an Drohnenbauteilen und -komponenten.

Minenräumgeräte und Ausrüstung zur schnellen Minensprengung und Minenbeseitigung werden ebenso gebraucht wie große Anzahlen mobiler Brücken.

Die Ukraine braucht möglichst viele Transportfahrzeuge, da sie sich beim Nachschub nicht mehr auf Depots abstützt, sondern Treibstoff, Munition, Ersatzteile usw. immer in Bewegung hält.

Die Ukraine braucht von uns außerdem gerade in der Phase beginnender Offensivoperationen eine bewusste Zurückhaltung mit Befürchtungen und Ratschlägen sowie nervenstarke Vermeidung von Hypes oder gar Hysterie.

Die Ukraine beginnt systematisch und konzentriert mit der Offensive. Es wird keine kurzfristige Entscheidungsschlacht geben, sondern eine langfristige Abfolge aufeinander aufbauender Operationen. Wir erhöhen die Erfolgswahrscheinlichkeit durch systematische, konzentrierte und langfristige Unterstützung.

Karte: @War_Mapper @AndrewPerpetua

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