Sind die Deutschen bei einer so wichtigen Frage wie die Raketen-Stationierung fast in zwei Hälften gespalten?
Einerseits sei hier ein Ost-West-Gefälle erkennbar, antwortet im Satellit-Gespräch Daniel Witzeling, Leiter des Humaninstituts Vienna. „Dies bedeutet, dass die Bürger aus den alten Bundesländern, also aus West-Deutschland, eher prowestliche Argumente äußern, sprich in Richtung der Linie der USA geprägt sind. Auf der anderen Seite sind die Menschen im Osten trotz oder gerade wegen der Erfahrungen in der DDR generell kritischer. Die Problematik der gespaltenen Gesellschaft kann man gut mit der Meinung zu den Corona-Maßnahmen oder der Flüchtlingsproblematik vergleichen. Analog verhält man sich bei der Raketen-Entscheidung. Die eine Gruppe findet eine Stationierung von US-Raketen sinnvoll als Schutz und Abschreckung vor einer möglichen russischen Bedrohung.“

Interessant sei zu beobachten, so der Sozialforscher, „dass während noch in den 80er Jahren Personen und Politiker aus dem eher linken Spektrum wie beispielsweise die Grünen noch gegen Waffen und Aufrüstung waren und eher konservative und rechte Kräfte dafür, sich diese Tatsache komplett umgedreht hat. Nun sind die Grünen für mehr militärische Interventionen während die AfD hier sehr defensiv bis stark ablehnend agiert und argumentiert.“
Vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sind die Ostdeutschen laut Umfrage viel skeptischer als die Westler. Nur 26 Prozent der Befragten im Osten befürworten Stationierungspläne und 60 Prozent sprechen sich dagegen aus. Im Westen überwiegt die Zustimmung: 50 Prozent sind dafür und 36 Prozent dagegen. Auf die Frage, warum die Unterschiede in Ost und West auch in der Frage Krieg und Frieden immer noch so gravierend seien, meint Witzeling:
„Die Ostdeutschen haben durch das einstige Regime in ihrem Land leidvoll gelernt, dass aufoktroyierte Werte und Denkschemas nicht sonderlich vorteilhaft für sie sind. Die Bürger im Westen sind umgekehrt der Meinung und es ebenfalls gewohnt, in der Hinsicht auf Konsum und Wahlfreiheit keine Einschränkungen zu haben. Dies kann natürlich auch saturieren und einen weniger wachsam für einseitige Argumentation, egal ob aus westlicher oder östlicher Perspektive her, machen. Die kapitalistische Konsumkultur kann ebenso trügerisch sein wie einseitige Propaganda aus anderen östlich geprägten Nationen.“
„Die Menschen im Westen fühlen sich durch den Sieg ihres Systems eher bewusst und unbewusst überlegen gegenüber anderen Werte-Konstrukten“, fährt der Sozialforscher fort, „auch wenn viel von Toleranz und Weltoffenheit die Rede ist. Am Ende will man seine Werte ebenso rigide durchsetzen, wie dies andere Konfliktparteien tun. Hier ist niemand klüger als der andere.“
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat sich für eine bundesweite Volksbefragung zur Stationierung von US-Raketen ausgesprochen, die die Bundesregierung umsetzen soll. Die Hälfte der Befragten unterstützt diesen Vorschlag Kretschmers. Heißt es, dass man mit einer knappen Mehrheit diese Entscheidung von Scholz und Biden rückgängig machen kann, kam die Frage.
„Hier sollte im besten Fall die Abstimmung klar ausfallen“, so Witzeling. „Gerade als Votum, das die Politik ernst nehmen soll. Sonst bleiben die bereits beschriebenen beiden Lager weiter bestehen. Ob sich die Politik an die Befragung und das Ergebnis hält, wird sich erst im Fall des Falles zeigen. Fakt ist, dass je klarer die Entscheidung ausfällt, desto eher werden die politisch Verantwortlichen diese ernst nehmen. Sonst kann das Argument hochkommen, dass das Votum nicht eindeutig genug war.“