Sie wurde endlich ein Pornostar

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Sie wurde endlich ein Pornostar

Michaela Schaffrath ist eine Frau, an der Feministinnen, Sozialarbeiter und Milieuforscher verzweifeln könnten: Als Gina Wild hat sie in acht Pornofilmen gespielt, jetzt erzählt sie in einem Hörbuch ganz fröhlich und ungezwungen, wie sie ihr Hobby zum Beruf gemacht hat.





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Erotik-Star Schaffrath: "Ich fühlte mich begehrt, endlich, endlich begehrt"

Muss man in einer Kleinstadt aufwachsen, um im späteren Leben groß raus zu kommen? Es sieht so aus. Boris Becker stammt aus Leimen, Michael Schumacher aus Kerpen und Michaela Schaffrath aus Eschweiler bei Aachen, einem Kaff, das man mit der Lupe auf der Landkarte suchen muss. Doch während der Leimener und der Kerpener inzwischen Steuern sparend im Ausland residieren, lebt die Eschweilerin noch immer in einer Kleinstadt bei Frankfurt, zahlt hier ihre Steuern und kümmert sich um ihre vielen Fans, die sie unter dem Namen Gina Wild kennen und lieben.


Gerne würde Michaela Schaffrath alias Gina Wild jeden Fan einzeln versorgen. Weil dies aber nicht geht, hat
sie jetzt ein Hörbuch produziert, drei CDs mit 190 Minuten Spielzeit, mit dem sie sich an ihre
Fan-Gemeinde richtet. Das hört sich wie ein weiterer Fall aus der Abteilung "Bohlen, Naddel und Co" an,
doch es ist eine andere Geschichte. Michaela Schaffrath tut gar nicht so, als könnte und
würde sie schreiben, sie erzählt ihre Geschichte, was den großen Vorteil hat, dass die Adressaten beim
Zuhören beide Hände frei haben.

Schaffrath-Hörbuch: Begeisterte Exhibitionistin

Sie macht auch niemand mies, rechnet mit keinem ab, und wenn sie schmutzige Wäsche wäscht, was bei dieser Art von Erinnerungsarbeit unvermeidlich ist, dann ist es ihre eigene. Michaela Schaffrath, 160 cm klein, 50 Kilo leicht, ist eine begeisterte Exhibitionistin, das weibliche Gegenstück zum männlichen "Gliedvorzeiger", und wie dieser enthüllt sie am liebsten sich selbst. Am Nikolaustag 1970 geboren, war sie lange "das Pummelchen mit den dicken Brillengläsern, das in der Schuldisco keiner abknutschen wollte", sie heulte ihr Kopfkissen voll und träumte davon, so zu sein wie "die junge anmutige Maggie" in den "Dornenvögeln", das Gefühl, hässlich zu sein, war in ihrer Seele "eingebrannt wie eine Narbe", und "die Verzweiflung, eine Ausgestoßene zu sein" schaffte ein "tiefes Gefühl der Einsamkeit".


Davon abgesehen hatte Michaela aber "eine schöne Kindheit und sehr viel Liebe" von ihren
Eltern bekommen. "Essen hat bei uns in der Familie immer eine große Rolle gespielt." Es gab
"selbst gemachte Pommes, Currywurst und Hähnchen", Michaelas Leibgericht waren "Nudeln mit Eiersauce",
kein Wunder, dass das Kind immer dicker und immer unglücklicher wurde. Das änderte sich erst, als sie im Krankenhaus von Stolberg eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester begann. Sie lernte "eine große Bandbreite von Unheil kennen", litt zwar immer noch an Übergewicht, wurde aber gebraucht. "Das war das Schöne an diesem Job, anderen Menschen zu helfen, das geht nur mit Idealismus."

Erotik-Star Wild: "Ein tiefes Gefühl der Einsamkeit"

Was sie zu dieser Zeit noch nicht wusste: "Für den Job der Pornodarstellerin war es sehr
nützlich, all diese Erfahrungen gesammelt zu haben, auch für den Umgang mit den Fans und der Presse."
Wie wird nun eine Krankenschwester aus Eschweiler, die in einem gutbürgerlichen Elternhaus mit selbst gemachten Pommes und Nudeln mit Eiersauce aufgewachsen ist, dabei" sexuell unkompliziert erzogen" wurde, die ihren zweiten festen Freund, einen ehemaligen Mitschüler aus der Parallelklasse, heiratet und beinah als virgo intacta in die Ehe geht, eine Pornodarstellerin?


Wenn sich die Gelegenheit dazu bietet: "Wir waren ständige Konsumenten von Porno-Filmen und es hat uns
gejuckt, mehr darüber zu wissen, wie das abläuft bei so einer Produktion." Michaela und ihr Mann Axel
meldeten sich bei einer einschlägigen Firma und wurden gleich angenommen, für eine Produktion mit dem
Titel "Amateure, zum ersten Mal gefilmt". Solche Filme sind im Porno-Geschäft heiße Renner, denn als Akteure
im Rausch der Sinne agieren normale Menschen, wie man sie sonst bei Aldi an der Kasse trifft. Auch für Alex
und Michaela war es "nichts Ungewöhnliches", was sie vor der Kamera leisten mussten, es war "die
Standardleier: Lecken, Blasen, Vögeln, es hat Spaß gemacht", und es gab "500 Mark Taschengeld, für einen
halben Tag Sex vor der Kamera".


Weil aber auch in Eschweiler jeder jeden kennt, dauerte es nicht lange, bis Michaelas Mutter über die Aktivitäten ihrer Tochter aufgeklärt wurde. Es war an einem Tag im Sommer 1996. Axel und Michaela waren gerade aus dem Urlaub mit den Schwiegereltern in Ascona zurück ("Das ist ein uriger kleiner Ort am Lago Maggiore"). Michaela rief ihre Mutter an, "um ihr zu sagen, dass wir heil angekommen sind" und "Mama sagte, 'Ich habe einen Film von dir gesehen.'" Michaela war das schrecklich peinlich, denn: "Ich sitze da in einem Korbstuhl und masturbiere, ich sehe furchtbar aus, habe miserables Make-up drauf, blauen Lidschatten, hässliche Lippenstiftfarbe, nie im Leben würde ich mich heute so zurecht machen." Zudem hätte sie sich "gewünscht, dass meine Eltern auf eine andere Weise von den Dingen erfahren, die wir machen". Damals habe
sie "selbst nicht gewusst, dass dies der Anfang meiner erstaunlichen Karriere war".


Der Übergang vom Amateur-Dreh zur Profi-Szene war so einfach wie der von einer Casting-Show zum Superstar. An ihrem 27. Geburtstag war es so weit: "Ich hielt ein ganz besonderes Geschenk in der Hand, meinen ersten
Porno-Schwanz... ein Traum war für mich greifbar geworden; das junge Mädchen, das einst keiner haben
wollte, war im Porno-Land angekommen, ich fühlte mich begehrt, endlich, endlich begehrt..."

Phänomen Schaffrath: "Das Glück, ein Pornostar zu sein"

Statt sich um kranke Kinder zu kümmern, genoss sie "das Glück, ein Pornostar zu sein" in vollen Zügen. "Das hat mich eher auf eine egoistische Art glücklich gemacht, ich hatte Orgasmen und es hat mich befriedigt zu wissen, dass Tausende Leute mir zugucken. es war auch die Macht, die mich reizte, die Macht, die ich hatte, weil ich wusste, die holen sich jetzt alle einen runter, wenn sie dich sehen." Es war ihr ein
"Bedürfnis, andere glücklich zu machen. Wenn andere glücklich sind, bin ich auch glücklich".


Michaela Schaffrath ist ein Phänomen, an dem Feministinnen, Sozialarbeiter und Milieuforscher verzweifeln könnten. Sie wurde als Kind nicht missbraucht, sie kommt nicht aus einer problematischen
Familie, es waren nicht die üblichen Umstände, die sie in eine Rolle zwangen; sie hat einfach ihr Hobby
zu ihrem Beruf gemacht. Wie kleine Jungen, die so lange dem Ball hinterher laufen, bis sie endlich bei
Borussia Dortmund einen Vertrag bekommen. Und alles, was bei Naddel oder Verona mit einem aseptischen
Romantik-Schleier daherkommt ("Die Nacht, in der wir unser Baby zeugten"), klingt bei Michaela so normal
wie eine Einladung zu Kaffee und Kuchen bei ihren Eltern: "Ich blase unheimlich gerne..., es ist reine
Vertrauenssache, sonst macht Blasen keinen Spaß."

Gläubige Schaffrath: "Er hat sich alles so für mich ausgedacht"

Aber nicht nur daheim im eigenen Bett und unter vier Augen: "Sex in der Öffentlichkeit, das ist mein Kick, und wenn man so will, das einzig wirklich Ungewöhnliche an meinen Vorlieben." Dabei kennt auch
Michaela Schaffrath Grenzen, die sie nie überschreiten würde: "Ich würde nie mit einem fremden Mann
einschlafen, das ist meinem Mann vorbehalten, nur mit ihm schlafe ich zusammen gekuschelt ein." Privat
schätzt sie "schönen, geschmeidigen und kuscheligen Sex" und macht es am liebsten ganz konventionell, "in
der Missionarsstellung".


Nach nur knapp drei Jahren im Geschäft und acht abendfüllenden Produktionen (u.a. "In der Hitze der Nacht",
"Gang Bang für Gina") hat sich Michaela Schaffrath alias Gina Wild aus der Porno-Szene verabschiedet.
Vorbei sind die Zeiten, da sie bei Autogrammstunden "mir einen aus dem Publikum gekrallt und ihm einen
runter geholt. habe". Jetzt setzt sie sich als "Patin" für Projekte der "Christlichen Arbeiterinnen
Jugend" in Eschweiler, Ortsteil Pumpe Stich ein und vermarktet ihre Geschichte als Pornostar mit der
selben fröhlichen Entschlossenheit, mit der sie früher ihren Körper vermarktet hat. Michaela will eine
richtige Schauspielerin werden, trotz eines typich rheinichen Sprachfehlers. Sie sagt: "romantich",
"erotich", "lesbich", "komich" und "majestätich".


In einem Video von Wim Wenders, einem "Tatort" und einigen RTL-Serien hat sie schon mitgespielt. Sie
glaubt an sich und, wie im Rheinland üblich, daran, dass Er kein Spiel- und Spaßverderber ist: "Ich weiß nicht genau, ob Gott wollte, dass ich Pornostar werde, ich glaube schon. Ich glaube auch, er wollte, dass ich damit wieder aufhöre... Er hat sich alles so für mich ausgedacht. und ich glaube, dass ich nicht zu viel verlange, wenn ich diesen Wunsch allen anderen voran stelle: Ich will, dass man mich lieb hat."


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