Russische Frontalangriffe und Luftschläge gegen ukrainische Verzögerung und Schläge in die Tiefe

Russische Frontalangriffe und Luftschläge gegen ukrainische Verzögerung und Schläge in die Tiefe

Nico Lange

Russland greift im Osten verlustreich weiter an und setzt mit Luftangriffen auf Zerstörung und Vertreibung. Die Ukraine hält den Druck auf die Krim aufrecht und baut die Fähigkeiten für Präzisionsschläge nach Russland stetig aus. Wie ist die Lage und was wird gebraucht?

Russland setzt die Frontalangriffe im Osten in drei Schwerpunkten weiter fort: Westlich von Kreminna in Richtung Lyman, westlich von Bachmut in Tschassiw Jar, und nördlich von Marjinka in Krasnohoriwka.

Das russische Vorgehen ist dabei überall gleich: Abwurf von Gleitbomben auf die ukrainischen Ortschaften und die Stellungen der Ukraine, langer Artilleriebeschuss und dann Vorrücken von Infanterie mit wenigen Schützenpanzern und Kampfpanzern. 

Russische Sturmtruppen werden gnadenlos frontal ohne Rettungskette und ohne Unterstützung verbundener Waffen nach vorn geworfen. Extrem hohe Verluste sind die Folge. Durch ständige Wiederholung dieses Ablaufs und große Masse erreicht Russland dennoch kleine Fortschritte.

Russland hat derzeit keine Fähigkeiten für größere Durchbrüche und größere mechanisierte Operationen. Russland verfügt über ungenügend Kräfte in Reserve, um eventuelle Durchbrüche strategisch ausnutzen zu können.

Die Ukraine kann die Frontlinie im Osten nicht halten, sondern nur den russischen Angriff verzögern. Zwei Faktoren sind für die kommenden Monate sehr bedeutend: Wie lange kann die Ukraine die günstige Höhenlage von Tschassiw Jar halten? Und wird Russland auch bei Kupjansk angreifen?

Die Ukraine stabilisiert derzeit das Verzögerungsgefecht, um Zeit zu gewinnen für Mobilmachung und sorgfältige Ausbildung neuer Rekruten sowie hoffentlich auch für Lieferung neuer Artilleriemunition, Fahrzeuge, Ersatzteile und Ausrüstung.

Das größte Problem für die Ukraine sind die russischen Gleitbomben, zumal die russische Luftwaffe ihre Möglichkeiten aufgrund mangelnder ukrainischer Luftverteidigung schrittweise ausweiten kann. 

Der Einsatz der Gleitbomben, Marschflugkörper, ballistischer Raketen, Drohnen, konvertierter S-300 Raketen auf die grenznahen Städte Charkiw, Sumy und Tschernihiw zeigt eine neue russische Strategie der Zerstörung und Vertreibung.

Die zum Jahreswechsel begonnene russische Luftkampagne gegen die ukrainische Rüstungsindustrie zielte zuletzt mehr auf Kraftwerke mit dem Ziel eines vollständigen Blackouts, Lahmlegen der Industrie und Unbewohnbarmachung mehrerer Großstädte. 

Das größte Risiko sind derzeit nicht russische Durchbrüche der Front, sondern Zerstörung von Infrastrukturen, Terror gegen Zivilbevölkerung mit dem Ziel der Vertreibung und Flucht von Hundertausenden und Auslösen einer neuen Fluchtwelle in Richtung EU.

Die Ukraine setzt im Süden ihr systematisches Vorgehen fort und schaltet Radare, Sensorik und Luftverteidigung der russischen Seite aus. Damit wird der Aktionsradius der ukrainischen Flugzeuge und Marschflugkörper schrittweise über Sewastopol und Feodosia zur Brücke von Kertsch erweitert.

Während die Ukraine weiter die Krim unter Druck setzt und die Brücken als Ziele fest im Blick hat, baut Russland die Eisenbahnlinie von Rostow am Don über die besetzt Südukraine zur Krim. Russland wird diese Bahnlinie jedoch nur bauen und nutzen können, wenn sie die ukrainischen Truppen aus Vuhledar verdrängen kann. 

Die Ukraine baut ihr Programm für weitreichende Präzisionsschläge tief in russisches Staatsgebiet stetig aus. Die Ziele sind Flugfelder, Drohnenproduktion, Abschussrampen für ballistische Raketen und Raffinerien.

Ukraine produziert Drohnen mit immer höheren Reichweiten und Nutzlasten, und strebt an, künftig auch mit eigenen bodengebundenen Marschflugkörpern Präzisionsschläge durchzuführen. 

Die Ukraine braucht Luftverteidigungssysteme und Lenkwaffen. Auch alte Hawk-Systeme und Munition dafür können helfen. Mehr Short Range Air Defense gegen Drohnen und Manpads gegen Hubschrauber werden ebenfalls gebraucht.

Die Partner der Ukraine sollten mit den an der Westgrenze der Ukraine stationierten Flugabwehrsystemen russische Drohnen und Marschflugkörper abschießen und eine 70-90km breite sichere Zone in der Westukraine schützen.

Die Ukraine braucht dringend Notreparaturen von Kraftwerken, Hilfe für dezentrale Energieproduktion, Wiederaufbau kritischer und soziale Infrastrukturen. 

Möglicherweise könnte die Ukraine Recovery Conference in Deutschland im Juni zur praktischen Nothilfe- und Überlebenskonferenz für Energie, Infrastrukturen und soziale Infrastrukturen in der Ukraine umfunktioniert werden.

Die Ukraine braucht Wartung und Instandsetzung von Schützenpanzern, Kampfpanzern und Artillerie näher an der Front und Möglichkeiten zur eigenen Produktion von Ersatzteilen

Wichtiger als die öffentlichkeitswirksame Lieferung mancher ungetesteter und nicht kampferprobter Drohnen von Partnern wird für die Ukraine ein ständiger Zustrom von Komponenten, Bauteilen und Technologien für die eigenen Drohnen- und Raketenproduktion. 

Die Ukraine braucht ein Nachschärfen der Sanktionen gegen Russland und die konsequente Bestrafung und Abschreckung von Firmen, die noch immer CNC-Maschinen, Updates, Komponenten und Bauteile nach Russland liefern, oft über Drittstaaten.

Überschießender Pessimismus in Bezug auf die Lage versperrt den Blick auf das Notwendige. Die Lage lässt sich drehen, wenn der Westen aktiv statt reaktiv handelt, systematisch militärisch hilft und kurzfristig die Überlebensfähigkeit der Infrastrukturen, des zivilen Lebens und der Wirtschaft der Ukraine stärkt. 

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Karte: @War_Mapper

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