Raketen, Psychoterror und knappe Munition

Raketen, Psychoterror und knappe Munition

Nico Lange

Russland setzt weiter auf Raketen- und Drohnenangriffe gegen Infrastrukturen und auf Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung. Die Ukraine bereitet die Befreiung weiterer Gebiete vor. Auf beiden Seiten wird Munition knapper. Wie ist die Lage und was wird gebraucht?

Die Ukraine greift nordwestlich von Swatowe und nordwestlich von Kreminna an. An der Frontlinie gibt es in diesen Bereichen immer wieder kleinere Bewegungen. Bisher verläuft der Winter warm, dadurch schränken schwierige Bodenverhältnisse die Mobilität ein.

Nach aktuellen Prognosen werden etwa ab dem 10. Januar fest gefrorene Böden höhere Mobilität zulassen. Größere Bewegungen im Frontabschnitt Swatowe-Kreminna im Gebiet Luhansk sind dann möglich.

Bei Bachmut und Awdijiwka greift Russland weiter an. Russland versucht einen Durchbruch bei Soledar nordöstlich von Bachmut zu erzwingen, um damit einen Schlüssel zu Bachmut zu gewinnen.  

Gegen gut ausgebaute ukrainische Stellungen und erbittert harten Wiederstand der Ukrainer – geleitet durch sehr gute Aufklärung - erleidet Russland weiterhin extrem hohe Verluste ohne signifikante Fortschritte. Ähnlich ist es bei Marinka südwestlich von Donezk. 

Aufgrund der hohen Verluste wird Russland neue Soldaten rekrutieren müssen. Nach den Feiertagen ist ab Mitte Januar mit erneutem Ausreiseverbot für russische Männer und einer neuen Welle der Mobilmachung zu rechnen.

Russland setzt weiter auf Raketenangriffe gegen ukrainische Infrastrukturen. Mit Salven von zuletzt etwa 60-70 Raketen der Typen Kalibr, X101, X555 und X59 gelingen Russland wenige Treffer. Etwa 70-80 Prozent der Raketen werden von der ukrainischen Luftabwehr abgefangen oder fallen wegen technischer Defekte aus. 

Neuerdings jede Nacht erfolgende Angriffe mit iranischen Shahed-136 Drohnen richten sich auch gegen Infrastrukturen, dienen vor allem aber dem Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung. In Kyjiw und anderen großen Städten sind die häufigen, auch nächtlichen Luftalarme in Kombination mit Abschaltungen von Strom, Wasser und Heizung eine sehr hohe psychische Belastung für Millionen von Menschen.

Die Abstände zwischen den russischen Wellen der Raketenangriffe werden größer und die Anzahl der jeweils verwendeten Raketen geringer. Russland nutzt bereits strategische Reserven und verfügt aktuell noch über Vorräte für 2-3 solcher Angriffswellen. 

Russland kann - auch mit Chips aus Kühlschränken und Waschmaschinen zur Umgehung von Sanktionen - derzeit etwa 40-50 Kalibr und X101-Marschflugkörper monatlich produzieren. Nach Aufbrauchen der Vorräte würde die Produktion der Raketen für eine einzige Angriffswelle also zwischen 1-2 Monaten in Anspruch nehmen. 

Zuletzt stiegen die russischen strategischen Bomber nur noch kurz auf und feuerten die Raketen auf die Ukraine gleich direkt neben ihrer Heimatbasis ab. Auch aufgrund der signifikanten Ausfallquote von Raketen waren die Bomber sonst oft weitere Wege über das offene Kaspische Meer geflogen.

Offenbar muss Russland verstärkt auf die Abnutzung seiner strategischen Bomber achten. Die Flotten der Tu-160 und Tu-95 sind alt, wartungsintensiv, störungsanfällig und bisher ohnehin nur zu etwa 60 Prozent einsatzbereit.

Die russischen Munitionsreserven werden auch bei der Artillerie geringer. Russland feuert derzeit bis zu 20.000 Schuss am Tag. Während der "Feuerwalze" von April bis Juni 2022 waren es 60.000 Schuss täglich. Russland kann die Munition nicht in dieser Rate produzieren, auch nicht mit Unterstützung aus Belarus. Mangelnde Artilleriemunition wird zunehmend auch zum Problem für Ausbildung und Übung.

Auf der anderen Seite ist der Munitionsverbrauch der Ukraine an einem einzigen Tag höher, als mehrere europäische Staaten zusammen in einem ganzen Monat produzieren. Der Nachschub an präziser Artilleriemunition und die Erhöhung der Produktionskapazitäten bei der Ukraine und ihren Partnern wird strategisch kriegsentscheidend. 

Neben den USA sollten auch Deutschland und die europäischen Partner der Ukraine dringend Industriekapazitäten für Munitionsproduktion erhöhen. Das könnte zu einer entscheidenden Unterstützung für den Sieg der Ukraine werden.

Die Ukraine braucht mehr Drohnenabwehr, auch kommerzielle elektromagnetische, und kostengünstige Luftverteidigung, damit nicht wertvolle Lenkflugkörper an vergleichsweise billige Shahed- oder Orlan-Drohnen verschwendet werden müssen.

Die Ukraine braucht viel mehr Lenkflugkörper für S-300, Iris-T, Hawk und andere Luftverteidigungsysteme. Auch hier sind Ausbau und Skalierung der Produktion notwendig und wären das richtige Signal der Entschlossenheit an die russische Seite.

Neben ständigem Nachschub an Munition braucht die Ukraine mehr Kampfpanzer und Schützenpanzer, um mit mechanisierten Verbänden entscheidende Durchbrüche zu erzielen. Es liegt auf der Hand: Wenn die westlichen Partner der Ukraine Kampfpanzer und Schützenpanzer liefern, ist der Krieg schneller vorbei.

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Alle Ukraine-Updates: Nico Lange

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Karte: War Mapper (@War_Mapper) / Twitter


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