Rückeroberungen, Krieg gegen Infrastrukturen und Positionskampf vor dem Winter

Rückeroberungen, Krieg gegen Infrastrukturen und Positionskampf vor dem Winter

Nico Lange

Während die Ukraine langsam weiter Gebiete befreit, intensiviert Russland in anderen Frontabschnitten die Angriffe, um bessere Positionen für den Winter zu erreichen. Putins Krieg gegen die ukrainischen Infrastrukturen geht weiter. Wie ist die Lage und was wird gebraucht?

Im Gebiet Luhansk greift die Ukraine weiter in die Richtung Swjatowe und Kreminna an. Russland sucht unter sehr hohen Anstrengungen diese Linie zu halten - sicher auch, weil sich weiter östlich im Gebiet Luhansk geografisch kaum noch natürliche Verteidigungslinien bieten.

Russland hat bei Swjatowe-Kreminna und bei Cherson frisch mobilgemachte Soldaten eingebracht. Diese werden ohne ausreichende Ausrüstung und Bewaffnung zynisch als menschliche Hindernisse an die Front geworfen, unter katastrophalen Zuständen und mit extrem hohen Verlusten.

Die Bodenbedingungen sind schwierig, die Mobilität beider Seiten ist derzeit eingeschränkt. Insbesondere Fahrzeuge auf Rädern wie Bushmaster, Mastiff, Kipri oder Wolfhound, die noch vor kurzem von der Ukraine geschickt genutzt werden konnten, haben derzeit Schwierigkeiten.

Für die aktuellen Bedingungen hat die Ukraine zuwenige Kampfpanzer, Schützenpanzer und Truppentransporter auf Ketten.

Russland greift wie schon seit Monaten weiter in Richtung Bachmut an. Den Schwerpunkt im Donbass verlegten die Russen aber aktuell weiter nach Süden mit intensivierten Angriffen auf Awdijiwka und Wuhledar.

Russland versucht mit aller Kraft einige Ortschaften einzunehmen, um sie für die Überwinterung an der Front nutzen zu können und gleichzeitig die Ukraine in weniger wintergeschützte Verteidigungsstellungen auf offenem Feld zu zwingen. Bisher wehrt die Ukraine die Angriffe ab.

Auf dem südwestlichen Ufer des Dnipro im Gebiet Cherson gelangen der Ukraine im Monat Oktober die größten Fortschritte. Aktuell geht die Ukraine in der flachen Steppenlandschaft jedoch sehr vorsichtig und langsam vor.

Die russischen Truppen auf dem Südwestufer des Dnipro sind zwar durch das "slice and starve" der Ukrainer in prekärer Lage, verfügen aber noch immer über viel Munition.

Obwohl es sehr wahrscheinlich scheint, dass Russland das südwestliche Ufer des Dnipro absehbar räumen muss, hat die russische Führung noch einmal Verstärkungen eingebracht, darunter auch viele neu mobilgemachte Soldaten.

Mit der Erhöhung der Truppendichte sollen offenbar die Manövrierfähigkeit der Ukraine begrenzt und der Preis für die Rückeroberung des Gebiets Cherson in die Höhe getrieben werden.

Während die militärischen Ziele für Russland an der Front unerreichbar sind, lässt Putin die kriegsverbrecherischen Luftangriffe auf die ukrainischen Infrastrukturen für Energie und Heizung fortsetzen.

Der russische Vorrat von Kalibr, Ch-101, Ch-555 Raketen wird kleiner, die ukrainische Luftverteidigung wird besser durch Lieferung von NASAMS, Iris-T SLM, Crotale, Aspide und SAMP/T. Die russischen Möglichkeiten zur Zerstörung der Infrastruktur werden absehbar geringer.

Aufgrund der technologischen Sanktionen kauft Russland aber große Chargen an Kühlschränken und Waschmaschinen, um die dort enthaltenen Chips für die Nachproduktion von Raketen zu nutzen.

Russland erhält Lieferungen von Munition und Waffen derzeit aus Belarus, Nordkorea und dem Iran - aus dem Iran bisher unbestätigten Meldungen zufolge auch ballistische Raketen, die für die weitere Zerstörung ukrainischer Infrastrukturen genutzt werden könnten.

Die Ukraine braucht weiterhin Kampfpanzer, Schützenpanzer, 155mm-Artillerie und viel Munition.

Dass die Ukraine in der Phase der russischen Schwäche dieser Wochen nicht über genügend mechanisierte Kräfte mit Kampfpanzern, Schützenpanzern und Truppentransportern auf Ketten verfügt, könnte militärisch als große verpasste Chance im Herbst 2022 in die Geschichte eingehen.

Die Luftverteidigungssysteme kommen spät und sind noch zu wenige. Mehr Flugabwehr wird weiterhin gebraucht, ebenso wie Raketen und Munition für die vorhandenen Systeme.

Die Ukraine braucht weiter möglichst viele Drohnen, auch zivile, sowie Systeme zur Drohnenabwehr.

Für die Winterfestigkeit braucht die Ukraine mehr Fenster, Scheiben, Baumaterial und Materialien zur Dämmung.

Nach den Angriffen auf die Infrastrukturen haben vor allem die europäischen Partner, auch Deutschland, sehr schnell Aggregate, Generatoren, mobile Heizungen, Ersatzteile wie Transformatoren usw. geliefert. Diese Anstrengungen müssen fortgesetzt werden.

Auf 3 Dinge kommt es mit Blick auf den Winter an: (1) Soforthilfe für Reparatur der Infrastrukturen und Winterfestigkeit, (2) Schnellere und mehr Lieferungen von Flugabwehr und Munition dafür, (3) endlich Entscheidung für die Lieferung von Kampfpanzern und Schützenpanzern.

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