Medien-Analyse: Die ARD-Tagesschau und das vermeintliche "Randthema" Klima
test.rtde.websiteWissenschaftler wollten im Auftrag der ARD in ihrer Inhaltsanalyse keine diesbezügliche Präferenz erkennen. Demgegenüber findet sich der Beweis, die Sorgen der Deutschen werden von der ARD ignoriert. Rekordinflation und die zweite europäische Flüchtlingskrise würden zum Teil mit mehreren Monaten Verzögerung thematisiert.
Von Bernhard Loyen
In der hausinternen ARD-Publikation "Media-Perspektiven" wurde der Beitrag "Der Klimawandel im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – Inhaltsanalyse der Tagesschau und des Gesamtprogramms von Das Erste, ZDF und WDR 2007 bis 2022" veröffentlicht.
Wissenschaftler der Universität Hamburg haben dabei ausgewählte Begriffe aus themenbezogenen Sendungen seit November 2007 gezählt und auf die "Intensität der Berichterstattung zum Klima" ausgewertet. Das Ergebnis belege demnach, dass "der prozentuale Anteil der Sendeminuten zum Thema im Großteil des Programms sehr gering" sei. Das Klima sei "insgesamt ein 'Randthema', das gegenüber anderen Themen wie der Wirtschaft zurückbleibe", so die Neue Zürcher Zeitung, eine Schweizer Tageszeitung des Medienunternehmens NZZ-Mediengruppe mit Sitz in Zürich, zitierend.
Ein NZZ-Artikel warf daher analysierend einen individuellen und genaueren Blick auf die Schwerpunktthematik Klima im Rahmen der ARD-Flaggschiffsendung Tagesschau. Die Reichweite der Tagesschau betrug statistisch im Jahr 2021 durchschnittlich rund 11,69 Millionen Zuschauer und ist seit Jahren stabil. Die Auswertung der NZZ-Analyse belegt nun in Bezug auf die Ausstrahlungen, "knapp 3.000 20-Uhr-Sendungen", ein anderes Ergebnis. So heißt es im Artikel:
"Tagesschau wird zur Klimaschau: wie die ARD die Sorgen der Deutschen ignoriert – Tatsächlich kommt kaum ein Thema (Klima) häufiger vor – das zeigt eine NZZ-Auswertung von 44.000 Sendungen und Artikeln der vergangenen fünfzehn Jahre."
So wurde nach den Auswertungen belegbar, dass im Jahr 2022 "das Klima in fast jeder zweiten Tagesschau-Sendung erwähnt wurde – deutlich häufiger als die Inflation oder die Flüchtlingskrise". Auch drei Jahre zuvor war laut den NZZ-Ergebnissen "das Klima im Jahr 2019 in mehr als der Hälfte aller Hauptsendungen der Tagesschau erwähnt – und damit deutlich häufiger als andere wichtige Themen, die Deutsche in Umfragen regelmässig als ihre "grössten Sorgen" angeben".
Das Ergebnis der Auswertungen belege daher:
"Betrachtet man die vergangenen fünf Jahre gemeinsam, kommt von den acht untersuchten Themen lediglich Corona häufiger in der Hauptsendung der Tagesschau vor als das Klima. Seit Januar 2023 ist es nur noch der Ukraine-Krieg, der öfter genannt wird."
Nicht das Klima ist also ein Randthema für die Tagesschau, sondern laut der Kritik in dem Artikel "die Krise des Rentensystems, die Rekordinflation oder die Wohnungsnot".
Im Dezember 2022 lautete das Ergebnis der monatlich in 29 Ländern durchgeführten Studie "What Worries the World" des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos für Deutschland diesbezüglich:
"Die Inflation bleibt den sechsten Monat in Folge die größte Sorge der Deutschen, (...) gefolgt von der Angst vor Armut und sozialer Ungleichheit."
Dass demnach auf Platz drei und noch vor der Sorge bezüglich militärischer Konflikte auf Platz vier, dann schon der Begriff "Klimawandel" folgt, könnte auch aus der permanenten diesbezüglichen Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien resultieren. In der Ipsos-Studie wird erläutert:
"Auch wenn die Angst vor den Folgen des Klimawandels hierzulande nur (sic!) auf Platz drei im Sorgenranking liegt, ist sie trotzdem nirgendwo größer als in Deutschland."
Auf Platz fünf folgt laut Ipsos die Sorge vor "Einwanderung". Im NZZ-Artikel wird ausgehend von den Auswertungen resümiert, dass einen "der möglichen Gründe für die widersprüchlichen Resultate ein Blick in die Autorenzeile der ARD-Analyse" aufzeigen könnte. Weiter heißt es:
"Dort findet sich neben dem Kommunikationswissenschafter Michael Brüggemann auch der Name Norman Schumann wieder. Der Mathematiker war in der radikalen Klimabewegung Extinction Rebellion in Nordrhein-Westfalen als Sprecher aktiv und auch an der erwähnten Programmanalyse von Klima vor acht beteiligt."
Der Verein "Klima vor acht" wiederum hatte laut NZZ im Jahr 2021 bereits versucht, "mit einer eigenen Programmanalyse verschiedener öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten Druck auf die Verantwortlichen auszuüben". Allerdings wurden nicht die ARD-Inhalte selbst untersucht, "sondern nur die Online-Übersicht der einzelnen Programme, darunter viele Unterhaltungsformate". Das Ergebnis habe laut dem Verein im Jahr 2021 offenbart: "Das Klima komme viel zu selten vor."
Im NZZ-Artikel wird festgestellt, dass die Autoren für die ARD-Studie "zum Teil fragwürdige Massstäbe" angelegt hätten. Dass dabei der "untersuchte Allerweltsbegriff Wirtschaft häufiger als das Klima" vorgekommen ist, sollte bei genauerer Betrachtung daher "nicht überraschen". Weiter heißt es in der kritischen Betrachtung:
"Andere Themen wie die Wohnungsnot und Rekordinflation sowie deren Folgen für die Altersvorsorge wurden in der ARD-Analyse erst gar nicht untersucht. Der Grund: Die Autoren hielten 'Corona', 'Wirtschaft', 'Ukraine' und 'Flüchtlinge' als Vergleich für "am anschaulichsten". Deswegen habe man andere Begriffe nicht ausgewertet, sagte einer der Autoren auf NZZ-Anfrage."
Diese Realität irritiere dahingehend, dass die Menschen in Deutschland "im vergangenen Jahr einen historischen Kaufkraftverlust erlebten, weil sich Lebensmittel und Energie so stark verteuert haben wie seit Jahrzehnten nicht". Und weiter wird in der NZZ-Analyse dargelegt:
"Parallel dazu stieg die irreguläre Migration nach Deutschland auf einen historischen Rekordwert, zugleich mangelt es fast überall an bezahlbarem Wohnraum. Die Frage, ob diese Themen in der Tagesschau angemessen abgebildet wurden, spielt in der ARD-Analyse keine Rolle."
Im NZZ-Artikel wurden diese Punkte daher "detailliert in einem monatlichen Verlauf" herausgearbeitet und ausgewertet. Das Ergebnis belege:
"Die weltweite Rekordinflation und die zweite europäische Flüchtlingskrise kamen jüngst nicht nur seltener vor als das Klima, auch vergingen zum Teil mehrere Monate, bis sie überhaupt angemessen abgebildet wurden."
Des Weiteren zeige die Auswertung, dass "soziale Themen wie die Wohnungsnot und die Rente in der Tagesschau" ebenfalls eine "vergleichsweise geringe Rolle" spielen. Eine weitere Auffälligkeit sei die wertende "Steigerung" der Begrifflichkeit Klimawandel zu Klimakrise. Abschließend weisen die NZZ-Autoren darauf hin:
"Wenn die Zahl der 'Klima'-Begriffe in Tagesschau-Sendungen in einem Monat sehr hoch war, war im selben Monat auch gehäuft von den Grünen und von Fridays for Future die Rede. Bei den 'Flüchtlings'-Begriffen und der migrationskritischen AfD etwa gibt es diesen Zusammenhang nicht."
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