Infrastrukturen lebensfähig halten und Angreifer weiter aus dem Land drängen

Infrastrukturen lebensfähig halten und Angreifer weiter aus dem Land drängen

Nico Lange

Nach dem Rückzug aus Cherson konzentriert Russland die Angriffe auf den Donbass und zerstört mit Luftangriffen ukrainische Infrastrukturen. Die Ukraine konsolidiert sich am südlichen Dnipro und greift im Gebiet Luhansk weiter an. Wie ist die Lage und was wird gebraucht?

Nachdem mehr als 20.000 russische Truppen durch den im August begonnenen ukrainischen "slice and starve" Angriff in eine prekäre Versorgungslage geraten waren, gelang den Russen eine Rückzugsoperation vom südwestlichen Ufer des Dnipro.

Beim Rückzug wurden über Wochen systematisch Truppen und Technik gleichzeitig mit evakuierten Zivilisten ans andere Flussufer zurückgezogen. Mit Täuschungsmanövern und systematischem Verminen verzögerten die Russen zudem den Vormarsch der Ukraine.

Weniger wertvolle russische Einheiten, vor allem frisch mobilgemachte Kräfte wurden zur Absicherung des Rückzugs zunächst offenbar bewusst ohne Information zurückgelassen. Sie gerieten bei der Überquerung des Dnipro massiv unter Feuer und erlitten hohe Verluste.

Seit diesem Rückzug gab es mehrfach Hinweise auf ukrainische Kräfte auf dem westlichen Ufer des Flusses. Auch der ukrainische Generalstab zeigte Videos von Schlauchbooten in der Mündung des Dnipro. Wahrscheinlich handelt es sich um Operationen von Spezialkräften.

Russland zieht jetzt die Verteidigungskräfte vom westlichen Flussufer weiter zurück, um aus der Reichweite der ukrainischen Artillerie zu gelangen und brachte freigewordene Einheiten im Donbass ein. 

Nachdem die Attacken auf Bachmut unter hohen Verlusten seit Monaten kaum Ergebnisse bringen und Angriffe in Pawliwka desaströs scheiterten, legt Russland den Schwerpunkt jetzt auf Awdijiwka westlich von Donezk. Die Lage dort wird für die Ukraine schwieriger.

Die ukrainischen Kräfte greifen im Gebiet Luhansk bei Swatowe und Kreminna weiter an, sind jedoch mit starker russischer Artillerie konfrontiert und aufgrund der Bodenverhältnisse in der Mobilität eingeschränkt.

Im Gebiet Luhansk und im Donbass macht die quantitative Überlegenheit der russischen Artillerie mit riesigen Munitionsvorräten der Ukraine weiterhin Probleme. Freigewordene Kräfte aus dem Gebiet Cherson können auf ukrainischer Seite die Balance verbessern, aber russische Lancet-Drohnen verursachen auch Verluste.

Weitere 155mm-Artillerie und große Mengen Artilleriemunition werden zum Ausgleich des Kräfteverhältnisses bei der Artillerie gebraucht. Mehr Kampfpanzer, Schützenpanzer und Kettenfahrzeuge sind weiterhin militärisch erforderlich.

Drohnen aller Art, auch zivile Drohnen, sind nützlich und überlebenswichtig - zur Aufklärung, zur Zielkorrektur, zur Überwachung von Infrastrukturen, zum Kartografieren von Minenfeldern. Je mehr Drohnen für die Ukraine, desto besser.

Die ukrainische Luftverteidigung wird durch die gelieferten modernen Systeme besser und der Bestand russischer Raketen wird weniger. Russlands Fenster zur Zerstörung kritischer Infrastrukturen schließt sich, allerdings sind mittlerweile schwer reparable Schäden angerichtet.

Mehr Luftverteidigungssysteme unterschiedlicher Reichweiten und Luftabwehrraketen sind weiterhin rasch notwendig.

Die Ukraine braucht ein massives Sofortprogramm für die Infrastrukturen mit Transformatoren, Ersatzteilen, Leitungen und Infrastrukturelementen. Die EU, viele europäische Staaten, auch Deutschland, und viele private Unternehmen helfen seit Oktober sehr schnell und unkompliziert. 

Eine gemeinsame große Anstrengung ist mit Blick auf die Wintermonate noch einmal nötig, dafür muss auch die Koordinierung auf ukrainischer Seite besser werden.

Die Ukraine braucht ein großes Hilfspaket für Resilienz. Die Ukrainer sind Meister der Selbstorganisation, benötigen aber Material: Generatoren, Aggregate aller Größen, mobile Heizungen, Ladegeräte mit Kurbeln, Reflektoren für Kinderkleidung und mehr.

Wir können nicht abwarten und zuschauen. Auch von deutschen Entscheidungen hängt es ab, wie der Krieg weiter verläuft. Mit der richtigen Unterstützung kann es der Ukraine gelingen, im Hinterland die Infrastrukturen lebensfähig zu halten und an der Front die russischen Angreifer weiter aus dem Land zu drängen.

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Karte: War Mapper (@War_Mapper) / Twitter

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