Gibt es noch ein positives Szenario für Deutschland und Europa?

Gibt es noch ein positives Szenario für Deutschland und Europa?

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Scheinbar unaufhaltsam rast der Zug der Weltpolitik auf den Dritten Weltkrieg und einen nuklearen Schlagabtausch zu. Große Teile der Bevölkerungen westlicher Länder nehmen das hin, denn sie glauben, dass ihre Eliten da allgemeine Interessen verteidigen. Doch ist das wirklich so?

Von Alexej Danckwardt

Alles, was wir in den zurückliegenden drei Jahren in den deutsch-russischen Beziehungen von deutscher Seite erlebt haben, ist so irrational, dass es nur eine logische Erklärung dafür gibt. Die Erklärung nämlich, dass die deutschen Macht- und Wirtschaftseliten im geopolitischen Casino alles auf eine Karte gesetzt haben, auf die vollständige Vernichtung Russlands mit nachfolgender Plünderung russischer Ressourcen.

Anders sind die Aufgabe für Deutschland vorteilhafter Handelsbeziehungen, der Weggang deutscher Unternehmen aus dem über drei Jahrzehnte mühsam und kostspielig eroberten russischen Markt und der Verzicht auf billige Gaslieferungen nicht zu verstehen und nicht zu fassen.

Man sollte sich als "Normalsterblicher" davor hüten, auf die Räuberlogik hereinzufallen und in dem keineswegs sicheren Sieg über Russland einen persönlichen Vorteil zu suchen. Es stimmt schon, Europa ist rohstoffarm, und das bringt mit zunehmendem Aufstieg der Entwicklungsländer Risiken für die hiesige Industrie. Das war aber auch vor zehn Jahren nicht anders, als Deutschland "Exportweltmeister" war und mehr oder weniger Vollbeschäftigung erlebte. Die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands und Europas ließ sich – das haben wir mit eigenen Augen gesehen – mit friedlichem Handel sichern. Russland war dazu bereit und investierte in die für beide Seiten gedeihliche Zukunft, nicht nur mit dem Bau von Nord Stream 2.

Die wahren Gründe für das gefährliche Pokerspiel der Eliten sind wieder einmal in etwas anderem als der Sorge um das Wohlergehen des einfachen Deutschen zu suchen. Wie bereits gesagt, deutsche Verbraucher und Industrie waren mit der Situation bis 2021 zufrieden und hatten auch guten Grund, zufrieden zu sein. Verbraucher bekamen Strom und Wärme zu vertretbaren Preisen, die Industrie war dank der langfristig gesicherten Lieferverträge international konkurrenzfähig. Wessen Gier war es also, die uns alle an den Rand des Abgrunds geführt hat?

Aufmerksame Beobachter wiesen seit Langem auf die gegen null tendierenden Profitraten für das Finanzkapital hin, mal nennt man die sich dahinter verbergenden Subjekte "Investoren", mal "Heuschrecken". Je erfolgreicher Schwellen- und Entwicklungsländer in dem Aufbau ihrer eigenen Wirtschaft waren, desto schwieriger wurde es für das westliche Kapital, sie auszubeuten. "Zu Hause", in Europa und Nordamerika, war zudem ein Zustand gewisser Stabilität erreicht, alle Pfründe verteilt, so dass man immer kreativer nach lohnenswerten "Anlagemöglichkeiten" fahnden musste.

So lassen sich Ideen wie die Privatisierung von Eisenbahnunternehmen und Autobahnen, des Gesundheitssystems und ähnlicher Betätigungsfelder des Staates erklären. Sie sind allesamt wenig profitabel, aber selbst ein halbes Prozent Verzinsung erschien den "Durstenden" besser als nichts.

Aus der "Not" der Profitarmut war auch die "Corona-Krise" geboren. Es lohnt sich ein Blick darauf, wer so alles und in welchem Umfang in den zwei Jahren "Pandemie" reicher geworden ist. Rückblickend betrachtet war es eine riesige Umverteilungsaffäre von unten nach oben. Es profitierten nicht nur Pharmaunternehmen, sondern auch Internetkonzerne, die sich auf Fernhandel, Lieferdienste und "Heimkino" spezialisieren – auf Kosten des kleinen Händlers "um die Ecke", der Innenstadtkaufhäuser und des klassischen Film- und Unterhaltungsgeschäfts. Auch diese "Zitrone" ist inzwischen ausgepresst.

Und dann ist da fette Beute in der Nachbarschaft, die lockt. Es ist genauso paradox wie wahr: Russland lieferte bis zum offenen Ausbruch des Konflikts seine Rohstoffe billig nach Europa und zahlte brav die Kolonialsteuer nach Übersee (27 Prozent von Gazprom gehören immer noch einer Bank mit Sitz in New York). Trotzdem warf das Geschäft genug für Russland selbst ab: erträgliche Einkommen für Arbeiter, Steuern, Zölle und Dividenden für den Staat, Profite für das russische Kapital.

Natürlich schmerzt so etwas die auf Expansion und Profitsteigerung gepolte Seele eines Heuschrecken-Kapitalisten. Da ist sie, die Goldgrube: Wozu einen Anteil am Geschäft den Russen, "groß" und "klein", überlassen, wenn man alles selbst einsacken kann?

Man beachte: Es geht nicht darum, russisches Öl und Gas für den europäischen Verbraucher billiger werden zu lassen. Es geht ausschließlich darum, bei gleichbleibenden oder höheren Verbraucherpreisen Gewinne in die Taschen der "richtigen Leute" zu leiten. Es ist wie eh und je: Der Preis des Eroberungsfeldzugs wird vergesellschaftet, die Kosten und Risiken des Kriegs zahlen in Geld und Menschenleben wir alle, und die Beute wird im Erfolgsfall unter einigen wenigen aufgeteilt, die den Rachen nicht vollkriegen.

Doch wie erlegt man eine mit Atomwaffen ausgestattete "Beute"? Der Schlüssel war und ist die Ukraine. Nicht nur, weil ihre Unterwerfung dem europäischen und transatlantischen Kapital Profite bringt. Diese sind nicht mehr als ein willkommener Bonus. Ich habe die Verschnaufpause, die die Ausschlachtung der Ukraine dem westlichen Kapital verschafft, 2014 auf zehn bis fünfzehn Jahre geschätzt, die bald vorbei sind. Vielleicht deshalb die Vorgabe der Kriegsbereitschaft bis 2029 durch Boris Pistorius?

Das ist jedoch bei Weitem nicht der wichtigste Grund, warum EU und NATO sich 2013 wilden Tieren gleich auf die Ukraine stürzten. Über den Plan des Westens, die Ukraine als Rammbock gegen Russland zu nutzen und einen Krieg zwischen den beiden eng verwandten Völkern anzuzetteln, habe ich aus der Feder eines russischen Militärstrategen erstmals 2007 gelesen. Das schien damals absolut unmöglich zu sein, und entsprechend lachten mich alle aus, denen ich den Artikel zeigte. Heute lacht niemand mehr.

Der russisch-ukrainische Krieg eröffnet dem Westen Möglichkeiten, von denen Hitler nur träumen konnte. Die Ukrainer werden es sicherlich nicht schaffen, Russland vernichtend zu schlagen und zu besetzen, doch sie schwächen das Riesenland mit jedem Tag, den der Krieg dauert, mit jedem Gefallenen auf russischer Seite, mit jeder US-Rakete, die auf russischem Territorium einschlägt. Das alles, ohne einen russischen atomaren Vergeltungsschlag zu befürchten, denn Moskau wird die Vernichtung des Brudervolkes nicht befehlen. Und dass die Ukraine mit jedem Kriegstag selbst draufgeht, kümmert die Strategen im Westen nicht: Die Ukrainer sind für sie nur verbündete Eingeborene, um die es nicht schade ist.

Langsam, aber unaufhaltsam vernichten die Ukrainer unter Anleitung westlichen Militärs auch das russische nukleare Zweitschlagspotenzial: Früherkennungs- und Radarwarnsysteme etwa. Das Ziel der NATO, Russland mit geringem Risiko schlagen und besetzen zu können, rückt damit näher. Ganz sicher werden sich die Planer des Dritten Weltkriegs jedoch erst dann sein, wenn die US-Raketenabwehr dort steht, wo sie russische ballistische Trägerraketen in der Startphase abfangen und von wo das NATO-Militär einen Entwaffnungsschlag am effektivsten führen kann: bei Charkow und im Donbass, um die der Krieg jetzt auch geführt wird.

Man sollte keinerlei Illusionen haben: Im kollektiven Westen sind Menschenfeinde an der Macht, die auch vor Opfern in der eigenen Bevölkerung nicht Halt machen werden. Wenn Russlands Zweitschlagskapazität erst einmal auf ein "erträgliches" Maß gedrückt ist, werden sie den Atomkrieg starten, auch wenn dabei die eine oder andere europäische und nordamerikanische Stadt draufgeht. Die lockenden Profite wiegen in den Augen der Herrschenden Millionen Todesopfer auch der "eigenen" Seite auf.

Und so rast unser Zug unaufhaltsam und mit Volldampf in Richtung Abgrund, und niemand kann sicher vorhersagen, wie schlimm der Dritte Weltkrieg wird und wer von uns ihn nicht überleben wird.

Gibt es da überhaupt noch ein positives Szenario?

Objektiv betrachtet können sich Deutschland und Europa durchaus mit der Realität einer postkolonialen Weltordnung arrangieren, in der sie nicht mehr auf Kosten anderer Völker leben. Was Europa immer noch hat, sind weltweit günstigste Bedingungen für die Landwirtschaft, eine enorme Attraktivität für den internationalen Tourismus und ein technologischer Vorsprung, den Entwicklungsländer erst noch aufholen müssen. Das sichert auch ohne koloniale Rente eine auskömmliche Existenz für 60 bis 70 Prozent der Europäer, Deutsche eingeschlossen. Der "Rest" wird auswandern, wie es über Jahrhunderte europäische Sitte war. Russland hat in diesem Szenario enormen Bedarf an Arbeitskräften, und der Ruf von Katharina der Großen zur Ansiedlung im Riesenreich lässt sich wiederholen.

Und auch die Migranten, die in den letzten Jahrzehnten nach Europa strömten, werden zurückwandern. Freiwillig.

Deutschland und Europa werden nicht in Armut versinken, auch wenn man sich von der einen oder anderen Gewohnheit wird verabschieden müssen. Vor allem von dem Luxus, Superreiche immer reicher werden zu lassen.

Nach diesem Krieg wird nicht alles sein wie vorher – zu viel Porzellan hat insbesondere Deutschland zerschlagen. Noch ist man allerdings in der Lage, sich langfristige Präferenzen und Boni auszuhandeln. Deutschland könnte wieder Exportweltmeister sein, und günstiges russisches Erdgas wäre wieder das Unterpfand.

Was für das positive Szenario eine zwingende Voraussetzung ist, ist die schnelle und effektive Ausschaltung derjenigen europäischen Eliten, die auf Krieg und Kriegsbeute gesetzt haben. Der erste Schritt dazu ist das Verständnis, dass es nicht unsere Eliten im eigentlichen Sinne des Wortes sind. Sie handeln nicht im Interesse des Volkes, sie sind bereit, Millionen für ihre persönlichen Ziele zu opfern. Welche Verbundenheit und welches Mitleid schulden wir ihnen also?

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