Erdoğan beschuldigt den Westen des "Massakers in Gaza", Israel zieht Diplomaten aus Ankara ab

Erdoğan beschuldigt den Westen des "Massakers in Gaza", Israel zieht Diplomaten aus Ankara ab

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Vor Hunderttausenden Demonstranten brandmarkte der türkische Staatschef bei einer Pro-Palästina-Kundgebung in Istanbul den Westen als Kriegstreiber und Israel als Kriegsverbrecher. Die diplomatische Antwort aus Israel ließ nicht lange auf sich warten.

In Istanbul fand am Samstag eine propalästinensische Massenkundgebung mit Hunderttausenden Teilnehmern statt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat dort eine Rede gehalten, in der er den Westen insgesamt und Israel im Besonderen in sehr deutlichen Worten für den Krieg im und um den Gazastreifen verantwortlich gemacht hat.

Veranstalter des "Büyük Filistin Mitingi", des "Großen Palästina-Treffens", war Erdoğans islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP). Erdoğan selbst hatte zuvor über die sozialen Medien die Nation zur Teilnahme an der Veranstaltung aufgerufen. Über die Zahl der Menschen, die sich zu der Massenkundgebung auf dem Flughafengelände versammelt hatten, gab es zunächst keine zuverlässigen Angaben. Es dürften aber Hunderttausende gewesen sein.

Begrüßt wurden Erdoğan und seine Frau Emine von einem Meer aus türkischen und palästinensischen Fahnen. Viele Teilnehmer trugen Stirnbänder mit Aufschriften wie "Wir alle sind Palästinenser", "Beendet den Völkermord" und "Wir sind die Stimme der Kinder Palästinas". Die Flaggen der Türkei und Palästinas fanden sich als Motive auch auf dem Seidenschal wieder, den Erdoğan bei seinem Auftritt trug. Der türkische Staatschef sagte:

"Hey Westen, ich wende mich an dich! Wollt Ihr einen Krieg zwischen dem Kreuz und dem Halbmond? Dann müsst ihr wissen, dass dieses Volk lebt, dass dieses Volk standhaft ist. Was wir in Libyen waren, was wir in Karabach waren, das werden wir auch im Nahen Osten sein."

Außerdem wies er die Verantwortung für das "Massaker" in Gaza allein dem Westen zu, der Konflikt in der Region sei dessen Werk. Das heutige Gebiet Israels und Palästinas betrachtete er in seiner Rede als ehemalige Teile des Osmanischen Reiches. Das könnte als klare politische Botschaft über die Ansprüche der Türkei in der Region gewertet werden. Erdoğan sagte:

"Einige Menschen in der Türkei sehen heute, dass Gaza weit weg von uns ist und dass es uns egal ist, was dort passiert. Aber Gaza war vor fast 100 Jahren eine osmanische Stadt. Für uns war es eine unserer Städte, so wie heute Adana und Mardin. (...) Der Gazastreifen war ein Teil unseres Territoriums, von dem wir nicht einmal erwartet hatten, ihn zu verlieren."

Anschließend richtete der türkische Präsident folgende Worte direkt an Israel:

"Israel, wie bist du hierhergekommen? Wie bist du hier aufgetaucht? Du bist ein Besatzer. Du bist eine Bande, kein Staat. Der Westen schuldet dir irgendwas. Aber wir schulden dir gar nichts. Deshalb sagen wir diese Dinge auch so ruhig. Leider schuldet dir jedes Land im Westen irgendwas."

Den Palästinensern rief Erdoğan zu: "In meinem Namen und im Namen meines Volkes salutiere ich vor der Entschlossenheit der Menschen in Gaza im Angesicht der Bombardements der Unterdrücker." Die Türkei werde der Welt beweisen, dass "Israel ein Kriegsverbrecher" sei. Israel könne "seine Grausamkeiten nur begehen, weil es die Unterstützung des Westens hat".

Die Antwort aus Israel ließ nicht lange auf sich warten: Am Samstagabend rief das israelische Außenministerium als Reaktion auf Erdoğans "schwerwiegende Äußerungen" alle seine Diplomaten aus der Türkei zurück und kündigte eine "Neubewertung der Beziehungen zwischen Israel und der Türkei" an.

Erdoğan hatte schon in der Vergangenheit aus seiner Unterstützung für die Palästinenser nie einen Hehl gemacht. Er ist einer der schärfsten Kritiker Israels und hatte das Land oft des "Staatsterrorismus" beschuldigt. Das hatte 2010 zum Bruch geführt, beide Länder hatten ihre Botschafter abgezogen. Erst 2022 hatte man sich wieder auf volle diplomatische Beziehungen verständigt.

Aber der blutige Angriff der Hamas auf Israel mit Hunderten von teils übel zugerichteten Toten am 7. Oktober hat Erdoğan in eine schwierige Lage gebracht. "Die Hamas ist keine Terrororganisation, sondern eine Befreiungsbewegung, die für ihre Heimat kämpft", behauptete Erdoğan am Mittwoch vor der Parlamentsfraktion seiner AKP. Der türkische Präsident sagte einen geplanten Besuch in Israel wegen des "inhumanen Krieges Israels gegen die Hamas" ab. Erdoğan hatte führenden Figuren der Hamas in den vergangenen Jahren türkische Pässe ausstellen lassen und beherbergt sie in der Türkei. Deshalb stehen nun die eben erst reparierten Beziehungen zu Israel vor einer schweren Bewährungsprobe.

Laut dem libanesischen Journalisten Fadi Boudaya bereitet die Türkei auf diplomatischen Geheimkanälen einen Resolutionsentwurf über Entsendung türkischer Friedenstruppen nach Gaza vor. Außerdem erörterten die türkischen Diplomaten mit Katar die Möglichkeit, die Bemühungen um einen Konsens in der Palästina-Frage mit Zustimmung der USA zu verstärken. Das teilte der russische Nahost-Experte Abbas Dschuma mit dem Hinweis mit, dass Boudaya gut informiert sei und gute Verbindungen zur Hisbollah-Miliz habe.

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