Ein ungleiches Ehepaar

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Ein ungleiches Ehepaar

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Ich war nicht älter als sechzehn Jahre, als ich den Herrn Roman von Kinglin heiratete. Mein Gemahl hingegen trug schon fünfundsechzig Jahre auf seinem gebeugten Rücken und war stockblind. Dafür aber war er Präsident des Conseil-souverain im Elsaß und besaß große Reichtümer. Was braucht man mehr, um glücklich zu sein, als Geld und Ansehen? Herr von Kinglin konnte mir beides geben. Meine Familie war entschlossen, mich glücklich zu machen. Ich mußte gehorchen. Ich hatte freilich einige andre Betrachtungen, allein sie bewiesen mir, daß ich noch ein Kind sei, das die Güter dieses Lebens nicht nach ihrem wahren Wert zu schätzen wisse.
Herr von Kinglin tat mir nicht einmal die Ehre an, soviel Gefälligkeit gegen mich zu zeigen, als sonst auch der Roheste für eine Frau wenigstens um ihrer Neuheit willen hat. Schon in den ersten Tagen unsrer Ehe äußerte er seine argwöhnische Denkungsart. Ich wurde sogleich der Aufsicht eines alten Bedienten anvertraut, dem er das delikate Amt einer Duenja übertrug.
Picard – dies war der Name meiner männlichen Gouvernante – verrichtete sein Amt mit einer Pünktlichkeit, die keine Grenzen kannte. Er begnügte sich nicht damit, mich außer dem Hause zu begleiten; er folgte mir auch im Hause wie mein Schatten von einem Zimmer ins andere und verließ mich selbst in den Augenblicken nicht, wo die Wohlanständigkeit keine Zeugen gestattet.
Ein solch übertriebenes Mißtrauen, dem ich mich so ganz unvorbereitet unterworfen sah, stürzte mich in eine tiefe Schwermut. Um mich zu erheitern, schilderte mir mein Herr Gemahl den hohen Grad seiner Leidenschaft für mich und beklagte sich sehr zärtlich, daß ich an den lebhaften Beweisen seiner Liebe so wenig Geschmack fände. Es war mir freilich rätselhaft, wie man ein Frauenzimmer, das man nie gesehen hat, so leidenschaftlich lieben könne. Allein ebendeswegen war ich geneigt zum Mitleid mit einem so widernatürlichen Zustande und übte selbst Geduld bei den zärtlichen Äußerungen seiner Leidenschaft, bei denen er sich so kindisch und so lächerlich benahm. Übrigens sah ich vorher, daß das luftige Bild einer durch die vorteilhafte Beschreibung meiner Person erhitzten Einbildungskraft sogleich verschwinden werde, sobald die Sinnlichkeit keinen Reiz mehr finde, sich damit zu täuschen.
In dieser Vermutung hatte ich mich nicht betrogen. Nur zu bald entschlüpfte die Liebe den schwachen Banden, die sie zurückgehalten hatten. Die Sinnlichkeit meines Gemahls war befriedigt, und nun verlor sich mit einemmal all das ungeduldige Feuer, womit er mir bisher seine Zärtlichkeit hatte beweisen wollen. Aber die Eifersucht hatte nicht so schnelle Flügel als die Liebe. Sie blieb mit ihrer ganzen feindseligen Macht zurück und zeigte sich jetzt nur noch unerträglicher. Herr von Kinglin bildete sich ein, alle jungen Wollüstlinge hätten sich verschworen, mich zu bestürmen; er befürchtete, ich würde eine Belagerung von so gefährlichen Verführern nicht aushalten; ich würde endlich den heftigen Bewegungen eines feurigen Temperaments, das er von meinem Alter unzertrennlich glaubte, unterliegen müssen. Schon schien ihm die Gefahr über seinem Haupte zu schweben. Er verdoppelte seine Wachsamkeit. Ich konnte keinen Schritt im Hause, selbst nicht in meinem Zimmer tun, ohne ihm Rechenschaft davon ablegen zu müssen. Er deutete das unschuldigste Wort. Kurz alles, selbst mein Stillschweigen war ihm verdächtig.
Seit unsrer Verheiratung hatten seine Verwandten sich zurückgezogen. Sobald sie Uneinigkeit zwischen uns bemerkten, näherten sie sich wieder. Sie suchten sich bei ihm einzuschmeicheln, um ihren Haß gegen mich mit desto größerem Nachdruck und desto sicherem Erfolg ausbrechen zu lassen. Da ihnen andere Mittel fehlten, nahmen sie ihre Zuflucht zu niederträchtigen Verleumdungen.
Allein, den Herrn von Kinglin wider mich aufzubringen, war nicht ihr letzter Zweck. Sie wußten, daß auch der herzlichste Haß zweier Eheleute nicht immer eine gänzliche Enthaltsamkeit (eine Tugend, zu der sie den Herrn von Kinglin gar zu gern bekehrt hätten) bewirke; sie mußten also noch immer befürchten, das Temperament könnte in einem schwachen Augenblick über allen Widerwillen siegen. Zu weise, um eine so wichtige Sache, als das Entstehen eines ganzen Geschlechts, dem Ungefähr zu überlassen, und zu klug, um die Hoffnung einer reichen Erbschaft dem Zufalle preiszugeben, wußten sie alle ihre Besorgnisse dadurch zu beheben, daß sie meinem Herrn Gemahl eine Magd wieder in die Arme lieferten, die schon drei Kinder von ihm gehabt hatte und darauf abgerichtet war, aus Hymens Tempel die Opfer für den Altar der Knidischen Venus zu stehlen.
Zwar zeigte schon das Äußere dieses Mädchens die auffallendsten Spuren ihres verjährten Dienstes unter Amors Fahne. Allein dies konnte ihr bei Herrn von Kinglin nichts schaden. Er hatte einst ihre Schönheit noch mit seinen leiblichen Augen gesehen, und seine Phantasie wußte ihm jetzt die ehemaligen Eindrücke von ihren Reizen wieder so lebhaft vorzumalen, daß er sich mehr als jemals glücklich fühlte, einen so liebenswürdigen Gegenstand wieder zu besitzen.
Gern möchte ich hier einige Auftritte übergehen und einen Vorhang über Begebenheiten ziehen, denen selbst die strengste Dezenz in der Erzählung das Anstößige nicht ganz nehmen kann. Allein die Verteidigung meiner gerechten Sache erlaubt es nicht, meiner Bedenklichkeit dieses Opfer zu bringen.
Wenige Tage, nachdem Herr von Kinglin sein Verständnis mit Mariannen erneuert hatte, bemerkte ich, daß er morgens und abends einen Bader zu sich kommen ließ. Ich fand es sehr possierlich, daß mein Gemahl einer Person zu Gefallen, die Alter und Ausschweifung fast verstümmelt hatten, eine so ungewöhnliche Sorgfalt für sein Äußeres verwende. Allein ich blieb nicht lange in diesem Irrtum. Mehrere Symptome überzeugten mich bald, daß Marianne an dieser Sorgfalt des Herrn von Kinglin einen ganz andern Anteil hatte. Er schien mir unruhig, und seine Unruhe stieg in kurzem bis zur äußersten Ungeduld. Die gewöhnliche Vergeltung der Gottheit, an deren Altar er geopfert hatte, war ihm auf dem Fuße nachgefolgt, und ihre Priesterin hatte noch eine eigene Gunstbezeugung hinzugefügt. Eine Menge kleiner garstiger Tiere, die sich nur bei schmutzigem Pöbel aufhalten und deren Namen man in guter Gesellschaft nicht einmal nennt, hatten eine Völkerwanderung vorgenommen und waren bei dem Herrn Präsidenten mit einer solchen Wut eingefallen, daß er nicht aufhören konnte, sich bald hier, bald dort zur Wehr zu setzen.
Ein so unangenehmer Zufall brachte Herrn von Kinglin in Verzweiflung, es kam zwischen ihm und Mariannen darüber zu Erklärungen. Der Herr Präsident hielt einen harten Vortrag, von Vorwürfen kam es zu Schimpfreden, und vom Schimpfen zu Schlägen. Das arme Mädchen konnte nicht begreifen, daß es ein so schwarzes Verbrechen sei, den Schlafrock des Liebhabers ein wenig bevölkert zu haben. Sie war also gar nicht geneigt, die ihr zuerkannte Züchtigung mit geziemender Unterwürfigkeit anzunehmen, und widersetzte sich mit frevelnder Hand der Vollstreckung der Strafe. Es entstand ein förmlicher Zweikampf, das Gefecht ward immer hitziger, beide Parteien erhoben ein mörderliches Geschrei. Ich eilte auf den Kampfplatz; das ganze Haus lief herbei. Mit vieler Mühe brachte man die Kämpfer auseinander.
Herr von Kinglin schickte nach der Wache und wollte Mariannen festsetzen lassen. Allein ich machte mirs zur Pflicht, ihn nicht zum Märchen der ganzen Stadt werden zu lassen. Auf mein Bitten legte eine gutmütige Nachbarin eine Leiter am Hinterhause an, und ich ließ die mißhandelte Schöne durch ein Fenster hinabsteigen. Nach diesem Liebeswerke begab ich mich auf das Schlachtfeld zurück, um zu untersuchen, ob mein Herr Gemahl verwundet sei. Das Blut floß in sanften Strömen über sein Antlitz herab. Zu meinem Troste aber fand ich keine seiner Wunden gefährlich. Ein paar Schminkpflästerchen waren der Verband.
Er hatte erwartet, ich würde jetzt die aufgebrachte Frau spielen, ich würde mit Geschrei und Vorwürfen ihn überhäufen und diese Gelegenheit benützen, mich an ihm zu rächen. Ich tat von dem allen das Gegenteil. Mein sanftes Betragen setzte ihn in Verwunderung, er schien sogar davon gerührt zu sein; und um mir einen recht auffallenden Beweis seiner Dankbarkeit zu geben, sagte er zu mir – aber wohlverstanden, mit dem feierlichen Tone des Herrn und Meisters –: »Umarmen Sie mich, meine Gemahlin; von heute an können Sie Ihren Platz in meinem Bett wieder einnehmen.«
Ich fühlte nicht den mindesten Reiz, diese wieder angebotene Gnade zu benutzen; ich fürchtete mich vor dem Bader. So höflich als möglich gab ich meinem Gebieter zu verstehen, ich würde ohne Ungeduld so lange warten, bis er der ungestümen Gäste wieder ledig wäre. Durch diese abschlägige Antwort fand er sich beleidigt; wir waren aufs neue entzweit.
Die Verwandten meines Mannes wurden durch Mariannens Verabschiedung in neue Unruhe versetzt. Sie übernahmen die zwecklose Mühe, eine Wiederaussöhnung zwischen mir und ihm zu verhindern. Seine Eifersucht wurde aufs neue erregt, seine böse Laune durch allerhand Erdichtungen gereizt. Meine gleichgültigsten Handlungen wurden durch boshafte Folgerungen verdächtig gemacht, mein zurückgezogenes Leben als Folge geheimer Pläne gedeutet, und mein Bestreben, mich vernünftig zu betragen, als eine Politik zum Deckmantel verborgener Liebesgeschichten erklärt. Bei meiner Jugend und Schönheit (ich rede hier die Sprache meiner Feinde) sei ich unaufhörlichen Versuchungen ausgesetzt, und es sei unmöglich, daß ich, beinahe noch ein Kind, der Gefahr so vieler reizenden Lockungen mit Unschuld entgehen könne. So schmückten sie das Opfer, um es zur Schlachtbank zu führen.
Ihre Verfolgungen wurden täglich grausamer, sie hatten mich endlich so völlig unglücklich gemacht, daß ich wirklich ihre Wut nun gänzlich erschöpft glaubte. Allein noch ruhten sie nicht, denn noch war ihr letzter Zweck nicht erreicht. Ein Zufall brachte sie ihrem Ziele näher.
Herr von Kinglin erlitt in acht Tagen zwei Schlaganfälle. Dieser Umstand gab seinen Verwandten eine sehr natürliche Veranlassung, sich in seinem Hause festzusetzen. Madame Poireau, seine Schwester, kam vom Lande und bezog ein Zimmer in unserm Hause; ihre Zärtlichkeit erlaubte es nicht, die Pflege des kranken Bruders jemand anderm zu überlassen. Laufen, Rennen, Wachen, ängstliches Fragen, Tränen, kurz alle die Grimassen, womit die Heuchelei Schmerz und Kummer affektiert, wurden in Tätigkeit gesetzt und verfehlten ihren Zweck nicht. Herr von Kinglin ward von der zärtlichen Zuneigung seiner Verwandten (er vergaß, daß sie seine Erben waren) durch ihre nassen Augen vollkommen überzeugt und nahm nun jede Verunglimpfung, die sie sich auf Rechnung meiner Ehre erlaubten, für baren Beweis ihres Diensteifers.
Sie beschlossen nun über mich im Rat des Verderbens, durch die Beschuldigung einer Liebesgeschichte, die sie erfunden und nach ihrer Art ausgeschmückt hatten, mich zu stürzen. Der Held dieses Romans war eines von den honigsüßen aufgeblasenen Herrchen, die sich immer wie eine Windmühle um sich selbst drehen und mit dem hohlen Köpfchen, das über einer grenzenlosen Krawatte sitzt, sich die Miene geben, als ob wir ihnen großen Respekt schuldig wären, die wir aber auch nicht eines Blickes würdigen würden, wenn es nicht bisweilen geschähe, um uns an ihrer überschwenglichen Lächerlichkeit zu amüsieren. Man muß bekennen, daß diese Wahl kaum unglücklicher hätte ausfallen können. Die Geschichten selbst waren nicht weniger schlecht erfunden. Es gab gar keinen Umstand, der die harte Beschuldigung auch nur wahrscheinlich hätte machen können. Das, was man als Hauptbeweis eines begangnen Ehebruchs wider mich anführte, war die wichtige Begebenheit, daß der besagte Ritter einst am hellen Vormittag um neun Uhr seinen Mantel in meinem Vorgemach hatte suchen lassen. Hieraus zog man den Schluß, wir müßten die vorhergegangne Nacht miteinander zugebracht haben. Man denke doch, wenn ein Verdacht dieser Art bei dem Publikum etwas gelten sollte, so würde die Ehre der Weiber künftig vom Regen oder Sonnenschein abhängen! Die Tatsache war offenbar so unverdächtig, daß auch die zügelloseste Lästerungssucht Anstand hätte nehmen sollen, ihr eine so gehässige Auslegung zu geben. Nichtsdestoweniger schlürfte Herr von Kinglin dies wirklich sehr schlecht bereitete Gift mit langen Zügen ein. Vermutlich war folgende Geschichte, die sich bald nachher zutrug, schon eine planmäßige Wirkung seiner aufs neue erhitzten Eifersucht.
Er gab vor (oder drang ihm etwa sein böses Gewissen die wirkliche Furcht auf?), von der Krankheit angesteckt zu sein, welche der Ausschweifung gewöhnliche Gefährtin ist. Der Arzt wurde gerufen und mußte eine Untersuchung in forma mit ihm vornehmen. Dieser fand nun zwar nicht die geringste Spur von einer solchen Krankheit, hielt es aber doch für gut, den Herrn Präsidenten wie den eingebildeten Kranken zu behandeln. Er gab ihm unter dem Namen eines schweißtreibenden Mittels einen unschädlichen Trank, der wenigstens den Magen des Kranken wieder in Ordnung bringen konnte, den er sich durch zu häufigen Genuß des Weins und der Liköre verdorben hatte. Mein Herr Gemahl war indes fest überzeugt, daß er auf die angegebne Krankheit kuriert werde. Um aber ganz sicher zu gehen, wollte er mit den Rezepten des Doktors auch noch die Hand des Wundarztes verbinden. Der Wundarzt, den er rufen ließ, erklärte geradezu, der Patient habe entweder Erscheinungen oder man suche ihn zu hintergehen. Die Arznei kam ihm verdächtig vor, weil er nicht wissen konnte, wogegen sie eigentlich wirken sollte. Er tadelte daher mit großer Heftigkeit das Benehmen des Arztes und ging selbst zu ihm, um ihn darüber ernstlich zur Rede zu stellen. Der Arzt machte den Wundarzt mit der Sachlage bekannt, erklärte ihm seine Bewegungsgründe, und nun hatte dieser nichts mehr wider den Trank einzuwenden. Der Herr von Kinglin bemühte sich aber selbst, den ungläubigen Wundarzt zu überzeugen und verriet ebendamit seine Absicht. Er ließ den Wundarzt noch einmal kommen, machte ihm eine ganz unwahre Beschreibung seiner Krankheit und versicherte ihm zuletzt, daß ich mich selbst einer Kur unterzöge und das Gift ihm eingeimpft habe. Er trug dem Wundarzt auf, mich auf der Stelle zu untersuchen. Der Schimpf eines so abscheulichen Verdachts brachte mich beinahe zur Verzweiflung, meine Schamhaftigkeit empörte sich wider die schändliche Zumutung. Allein die Betrachtung, daß ich meine Unschuld beweisen müsse, überwand alles – ich verhielt mich leidend. Der Wundarzt bezeugte, er habe an mir nichts gefunden, als leichte Spuren einer Unpäßlichkeit, die bei dem andern Geschlechte ganz gewöhnlich sei und woraus man auf nichts weniger als auf einen unordentlichen Lebenswandel schließen könne.
Man sieht schon aus dieser einzigen Erzählung, wie weit der Haß meines Mannes ging und wie viel ich von seiner wütenden Eifersucht zu fürchten hatte. Bald darauf ereignete sich eine andre Begebenheit, welche die letzte Szene eröffnete und meinen Feinden einen vollen Triumph bereitete.
Mein Gemahl hatte von jeher an Gespenster geglaubt und sich oft die abenteuerlichsten Einbildungen darüber gemacht. Seit ihn der Schlag gerührt hatte, war seine Geistesschwäche überhaupt und also auch seine panische Gespensterfurcht um einen merklichen Grad gestiegen. Das abgeschmackteste Märchen, das je eine Amme statt der Rute gebrauchen konnte, war jetzt ein furchtbares Schreckbild seiner Phantasie. Eines Tages begab ich mich auf den Oberboden des Hauses und besah zum Zeitvertreib das dort liegende Obst. Ich fand einige angefaulte Äpfel und warf sie zum Fenster hinaus. Von ungefähr traf einer den Draht der Klingel, die in dem Zimmer des Herrn von Kinglin hing, und schellte an. Mein Gemahl hatte eben einen Augustinermönch bei sich, und ein Bedienter war im Zimmer. Er fragte, wer die Schelle anziehe? Beide versicherten, keiner habe sie angerührt. Dies war schon genug, ihn in Furcht und Schrecken zu setzen, und auf der Stelle beschloß er, ein Haus zu verlassen, wo ein Kobold spuke. Unmittelbar nach diesem Auftritte, den ich ganz zufällig veranlaßt hatte, kam ich in sein Zimmer und hörte eine lange Erzählung von der vorgefallenen Wundergeschichte, die Herr von Kinglin mit der Erklärung schloß, er werde das Haus räumen. Ich wünschte mir Glück, so von ungefähr ein Mittel gefunden zu haben, das Herrn von Kinglin nötigte, ein so unbequemes und trauriges Haus zu verlassen.
Meine Freude war vergeblich. Da der Kobold nicht mehr spukte, so verschwand auch nach und nach wieder die Begierde zum Ausziehen. Meine Lust war aber einmal gereizt und wollte sich um so weniger leicht abweisen lassen, da ich das Mittel, sie zu erfüllen, in Händen hatte. Mein Kammermädchen erinnerte mich, daß noch mehr faules Obst auf dem Boden liege. Offenherzig gestanden, zielte ich nunmehr nach der Schelle. Das Gespenst siegte, wir räumten das Haus.
Zum Unglück war Madame Poireau nicht so leichtgläubig. Einige Monate nachher besuchte sie ihren Bruder und suchte auch diesen eines Besseren zu belehren. Sie erklärte die ganze Begebenheit für ein betrügerisches Possenspiel und wollte durch eigne Untersuchung beweisen, daß nichts daran sei. Sie mochte mich wohl schon im Verdacht haben. Ihr Heldenmut kannte also ebensowenig Grenzen als ihr Haß. Sie erbot sich, selbst eine Nacht in dem Hause zuzubringen.
Ich ging mit meiner Vertrauten über diesen unerwarteten Vorfall zu Rate. Es war uns beiden klar, daß der Aufklärungseifer meiner Schwägerin seinen Sitz in der schwarzen Galle und daß sie die Furcht der eignen Gefahr nur durch die Hoffnung besiegt habe, durch die wahre Aufklärung des Vorganges, den sie für mein Werk hielt, mich ohne Rettung zu stürzen. Wir beschlossen, durch eine neue Erscheinung ihren Plan zu vereiteln und sie selbst durch ein erschreckendes Schauspiel für ihres Herzens Härtigkeit empfindlich büßen zu lassen.
Mein Kammermädchen übernahm es, die Rollen auszuteilen. Sie wählte zwei von unsern Bedienten. Wir gaben ihnen die nötige Ausstattung: Leinentücher, einen ausgehöhlten Kürbis, die Kette vom Ziehbrunnen und für die Zwischenpausen einige Flaschen guten Wein.
Während wir auf diese Art unsre Zurüstungen machten, fühlte Madame Poireau bei Annäherung der Gefahr doch einige Beängstigung. Sie suchte indes ihren sinkenden Mut durch Vernunftgründe wieder zu heben und bereitete sich vor, ihre Standhaftigkeit auch bei den schauerlichsten Proben nicht zu verlieren. Endlich bestimmte sie die Nacht, in welcher das fürchterliche Abenteuer bestanden werden sollte. Sie verließ sich auf die Herzhaftigkeit ihres Sohnes. Beide begaben sich an Ort und Stelle, und nur unser Kutscher und ein großer Kettenhund waren ihre Begleiter.
Wir ließen ihnen Zeit, das Haus von oben bis unten zu untersuchen und sich durch unnötige Runden zu ermüden. Als wir aber endlich glaubten, daß sie eingeschlafen sein könnten, begaben sich meine Leute durch eine kleine Hintertür, zu der ich mit Wissen meines Mannes den Schlüssel hatte, in das Haus. Allein die Gespenster spielten ihre Rollen mit so geringer Vorsicht, daß sie sich kaum einige Minuten auf dem Schauplatz erhalten konnten. Der Hund schlug an, der Kutscher erwachte, sprang heraus und schrie: »Diebe!« Die beiden Geister verloren sogleich alle Fassung und suchten zu verschwinden. Kutscher und Hund setzten ihnen nach. Sie waren so glücklich, der Heugabel des einen und den Zähnen des andern zu entwischen. Allein zu ihrem Unglück begegnete ihnen vier Schritte von dem Hause die Nachtwache, hielt sie an und führte sie auf die Wache. In der Eile hatten sie den Schlüssel an der H
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