Die Übermenschen-Macher

Die Übermenschen-Macher

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„Es ist, als wäre der Mensch plötzlich zum Chefmanager des größten Business überhaupt ernannt worden, dem Business der Evolution (...) Eine gemeinsame Politik ist notwendig, um zu verhindern, dass die gegenwärtige flutartige Populationszunahme all unsere Hoffnungen auf eine bessere Welt zunichtemacht. Die menschliche Spezies kann, wenn sie es wünscht, sich selbst transzendieren — nicht nur sporadisch, ein Individuum hier auf eine Weise, ein Individuum da auf eine andere Weise, sondern in ihrer Ganzheit, als Menschheit. Wir brauchen einen Namen für diesen neuen Glauben.

Vielleicht wird Transhumanismus der Sache gerecht: Mensch bleiben, aber sich selbst transzendieren durch die Realisierung neuer Möglichkeiten von und für seine menschliche Natur. ‚Ich glaube an den Transhumanismus‘: Wenn es einmal genug Menschen gibt, die dies wirklich sagen können, wird die menschliche Spezies an der Schwelle einer neuen Art von Existenz stehen. (…) Sie wird endlich bewusst ihre wahre Bestimmung erfüllen können“ (Julian Huxley, „New Bottles for New Wine“, 1957, 1).

Digitalisierung, Robotisierung, Gentechnologie und technologisches „Enhancement“ des Menschen sind Brennpunkte des gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurses. Dieser Diskurs findet im Rubikon unter anderem in einer „Schöne Neue Welt“ benannten Kolumne einen Ausdruck, vorherrschend hier die Themen Überwachung, digitale Zensur und Künstliche Intelligenz.

Aldous Huxleys dystopischer Zukunftsroman Schöne Neue Welt erschien 1932 und zeichnete das Bild einer totalitären Überwachungsgesellschaft unter der Alpha-Kaste, die ihre Herrschaft unter anderem mittels Brainwash-Konditionierung, künstlich-eugenischer Reproduktion und einer materialistisch-technoiden Pseudoreligion sicherstellt. Weniger berühmt, aber mindestens ebenso einflussreich wie Aldous Huxley, war dessen älterer Bruder, der Biologe Julian Huxley (1887-1975), der als Begründer der Philosophie des Transhumanismus das Weltbild heutiger Techno-Utopisten in vielerlei Hinsichten vorgeprägt hat.

Das Weltbild des evolutionären Humanismus

Ausgangspunkt von Julian Huxleys Transhumanismus stellt das Weltbild des evolutionären Humanismus dar. Der evolutionäre Humanismus sieht — als konzeptionelle Fortführung des Darwinismus — die (materialistisch-atheistisch verstandene) Evolution im Zentrum eines neuen Ideensystems, ja gar einer neuen weltweiten Religion. Julian Huxley fasste diese Überzeugung vor gut fünfzig Jahren in folgende Worte:

„Dieses neue Ideensystem, dessen Geburt wir in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts erleben, möchte ich einfach Humanismus nennen, weil es nur auf unserem Verständnis des Menschen und dessen Beziehungen mit dem Rest seiner Umwelt basieren kann. Es muss sich auf den Menschen als (biologischer) Organismus fokussieren, wenn auch einer mit einmaligen Eigenschaften. Es muss rund um die Fakten und Ideen der Evolution aufgebaut sein und die Entdeckung berücksichtigen, dass der Mensch Teil eines umfassenden evolutionären Prozesses ist und es nicht vermeiden kann, eine entscheidende Rolle darin zu spielen“ (2).

Zur zukünftigen humanistisch-evolutionären Religion äußerte sich Huxley folgendermaßen:

„Welche Formen diese neuen Grundsätze des religiösen Denkens einnehmen werden, ist in dieser Periode des heftigen Wandels unmöglich zu sagen. (...) Die zentrale religiöse Hypothese wird sicherlich die Evolution sein, die mittlerweile anhand objektiver Fakten überprüft wurde und zu einem sicher etablierten Prinzip geworden ist. (...) Somit muss das zentrale, langfristige Anliegen der Religion darin liegen, weitere evolutionäre Verbesserungen zu fördern und neue Möglichkeiten zu realisieren; und dies heißt größere Verwirklichung für mehr menschliche Individuen und umfassendere Vollendung für mehr menschliche Gesellschaften“ (3).

Die Entwicklung zum Transhumanen

Die hier angesprochene Förderung evolutionärer Verbesserungen menschlicher Individuen und Gesellschaften wird, so die Überzeugung Huxleys, eine neue transhumane Menschenspezies und eine transhumane Gesellschaft hervorbringen. Diese Entwicklung zum Transhumanen erfolgt — und dies ist wichtig zu verstehen — nach Huxley nicht durch die „blinde und automatische natürliche Selektion des prähumanen Sektors“.

Vielmehr sei „eine Form von psychosozialer Selektion (...) erforderlich, eine Selektion, die so nicht-natürlich ist, wie die meisten der menschlichen Aktivitäten. (...) Damit sie effektiv ist, muss eine solche „nicht-natürliche“ Selektion bewusst, zielgerichtet und geplant sein“ (4).

Dem Transhumanismus liegt eine eigentümliche Dialektik inne, die aus dem darwinistischen Evolutionsverständnis erwächst und die moderne Welt entscheidend geprägt hat. Es ist eine Dialektik utopischer und dystopischer Entwicklungsszenarien der zukünftigen Menschheit, Szenarien, die sich auf den ersten Blick entgegenzustehen scheinen, im Endeffekt aber auf eine „evolutionäre Synthese“ — eben in Form des Transhumanismus — hinauslaufen: Die utopische These erwächst aus dem modernen Fortschrittsglauben, demgemäß die evolutionäre Höherentwicklung des Menschen, menschlicher Kultur, Wissenschaft und Technologie in einer Art modernen Version der Wiedererlangung des Paradieses kulminiert — technologisch optimierte Menschen in einer technologisch generierten Welt des Überflusses.

Die dystopische Antithese — weniger offensichtlich, aber im Subtext des kontemporären Gesellschaftsdiskurses allgegenwärtig — besteht in Narrativen der Gefahr eines „evolutionären Versagens“ des heute die Evolution steuernden Menschengeschlechtes.

Hier finden sich Dystopien, denen an erster Stelle eine befürchtete unkontrollierte Bevölkerungsexplosion zugrunde liegt; diese führe zu vielfältigen Nahrungs-, Ressourcen- und ökologischen Katastrophen. Und genauso wie die These der evolutionären Utopie — nach Ansicht der Transhumanisten — durch den Menschen aktiv gefördert werden muss, so muss die Antithese der devolutionären Dystopie aktiv bekämpft werden. Als Synthese dieser Aktivitäten ergibt sich eine Dynamik multipler Mechanismen des Survival of the Fittest. Es ist diese — aus transhumanistischer Sicht unausweichliche und deshalb notwendige — Dynamik einer „nicht-natürlichen" evolutionären Selektion, welche das zukünftige Menschengeschlecht hervorbringen werde.

Die Ideengeschichte des Transhumanismus

Um die ideengeschichtliche Nähe und letztliche Einheit von evolutionärer Utopie und Dystopie zu verstehen, lohnt sich eine Rückblende an den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts: Thomas R. Malthus (1766 bis 1834) — ein anglikanischer Pfarrer, einflussreicher Gelehrter und Inhaber des weltweit ersten Lehrstuhles für politische Ökonomie — veröffentlichte 1798 eine für die Moderne richtungsweisende Schrift über das Bevölkerungsprinzip, genannt On the Principle of Population as it affects the Future Improvement of Society.

Auf der Grundlage statistischer Überlegungen, hervorgehend aus dem Vergleich des durchschnittlichen Bevölkerungswachstums mit der maximalen Zunahme der Nahrungsproduktion, prophezeite Malthus der Menschheit akut drohende Überbevölkerungskatastrophen.

Malthus formulierte daraufhin ein Bevölkerungsprinzip, das seiner Ansicht nach ein grundlegendes Naturgesetz darstellt. Dieses Bevölkerungsprinzip besagt, dass es in der Natur verschiedene Kontrollmaßnahmen (Checks) gebe, die der übermäßigen Reproduktion einer Spezies entgegenstehen.

Angewandt auf das Menschengeschlecht unterschied Malthus die „positiven“, das heißt lebensverkürzenden Checks des Lasters — Alkoholabusus, Promiskuität und Geschlechtskrankheiten — und der Misere — Hunger, Krankheit, ungesunde Arbeit und Krieg — sowie die präventiven Checks — Enthaltsamkeit und späte Heirat (5). Die Neo-Malthusianer ergänzten die präventiven Checks zusätzlich mit den von Malthus abgelehnten medizinischen Methoden der Verhütung, Sterilisation und Abtreibung.

Malthus Bevölkerungsprinzip sollte vierzig Jahre später zur wahrscheinlich entscheidenden Inspirationsquelle von Charles Darwin werden. Denn nachdem Darwin 1835 auf seiner berühmten Galapagos-Reise mit der HMS Beagle zur Überzeugung gelangt war, dass die verschiedenen Spezies keiner unveränderlichen Schöpfung entspringen, suchte er nach dem Mechanismus der evolutionären Selektion, der hinter der von ihm postulierten Transmutation der Spezies steht.

Beim Lesen von Malthus sprang Darwin diese Erklärung in Form des Selektionsdruckes aufgrund der „naturgesetzlichen“ Überbevölkerungskontrollmaßnahmen quasi entgegen. Damit war der Darwinismus geboren, der von Julian Huxleys Großvater Thomas Henry Huxley in die Welt getragen und vom Soziologen Herbert Spencer in das sozialdarwinistische Konzept des „Survival of the Fittest“ übertragen wurde.

Darwins Cousin Francis Galton entwickelte aus dem Sozialdarwinismus kurz darauf die „Wissenschaft“ der Eugenik, und Julian Huxley, der vielleicht einflussreichste Eugeniker, ebenso wie Neo-Malthusianer, seiner Zeit, formulierte in seiner Galton-Vorlesung „Eugenik aus der evolutionären Perspektive“ (1962):

„Wenn, wie ich überzeugt bin, des Menschen Rolle darin besteht, sein Bestes zu geben, um den evolutionären Prozess auf diesem Planeten zu managen und dessen zukünftige Entwicklung in eine wünschenswerte Richtung zu lenken, wird eine umfassendere Verwirklichung der genetischen Möglichkeiten eine wesentliche Motivation für die menschlichen Anstrengungen darstellen; so offenbart sich die Eugenik als eine der grundlegenden Humanwissenschaften“ (6).

Die Philosophie des Transhumanismus

So viel an dieser Stelle zur Ideengeschichte des Transhumanismus. Wendet man sich nun dem jüngeren Transhumanismus zu, so tritt an erster Stelle die menschengesteuerte evolutionäre Weiterentwicklung des Menschen stark in den Vordergrund. So sieht der englische Philosoph Max More (geb. Max T. O'Connor), der als eigentlicher Begründer der Philosophie des Transhumanismus gilt, im Transhumanismus „Lebensphilosophien“ versammelt, „die durch Wissenschaft und Technologie eine Kontinuität und Beschleunigung von intelligentem Leben über die derzeitigen menschlichen Formen und menschlichen Limitationen hinaus anstreben, unter dem Leitbild von lebensbefürwortenden Prinzipien und Werten“ (7).

Der im deutschsprachigen Raum führende Transhumanist Stefan Lorenz Sorgner sieht „das entscheidende Merkmal des Transhumanismus (in der) Bejahung des Gebrauchs von neuen Technologien zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit der Entstehung des Trans- beziehungsweise Posthumanen, sodass die Evolution nicht mehr nur von der natürlichen Selektion (natural selection) abhängt, sondern auch die menschliche Selektion (human selection) richtungsweisend eingreifen kann“ (8).

Zu den „evolutionären“ Technologien, welche die transhumane Spezies hervorbringen sollen, werden in der Regel die sogenannten GRIN-Technologien — Gentechnologie, Robotik, Künstliche Intelligenz sowie Nanotechnologie — und auch die Pharmakologie — Dopingmittel, Drogen zum emotionalen und moralischen Enhancement et cetera — gezählt.

Wie genau man sich die zukünftige Spezies der Transhumanen vorstellen soll, darüber sind sich die Transhumanisten nicht einig. Das Lager des „kohlenstoffbasierten“ Transhumanismus steht in der Erwartung der Weiterentwicklung des Menschen zu einem halb organisch, halb künstlichen Cyborg; der „siliziumbasierte“ Transhumanismus geht darüber hinaus und vermutet, dass sich die Persönlichkeit des Menschen digitalisieren lässt („mind-uploading“/„whole brain emulation“), was es ihm letztlich ermögliche, sich in einen völlig neuen Organismus zu integrieren, sei es als virtuelles Wesen im Netz, sei es mit einem künstlichen Bioroboterkörper. Die Digitalisierung der Persönlichkeit wird in dieser Sicht als Schritt in die Unsterblichkeit gewertet (9).

Die neomalthusianische Ökologie

Wo sind nun aber die transhumanistischen Dystopien des Neo-Malthusianismus anzutreffen? Auch sie sind im gegenwärtigen Gesellschaftsdiskurs — wenn auch in versteckter Form — allgegenwärtig: Sie haben ein Zuhause im (zweifellos wichtigen) Diskurs rund um ökologische Fragestellungen und dem Schutz der Natur gefunden. Richtungsweisend in dieser Entwicklung war unter anderem der internationale Thinktank Club of Rome, der 1972 mit der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ die Umweltbewegung in Fahrt brachte.

Der Fokus neomalthusianischer Ökologie liegt darin, die „Masse der Menschen“ — die Überbevölkerung — als das zentrale Problem hinter den ökologischen Katastrophen zu sehen. Überspitzt wird diese Sicht im immer wieder auftauchenden Sinnbild der Menschheit als „Krebsgeschwür der Erde“ dargestellt.

Das Gefährliche der — sich hinter berechtigten ökologischen Anliegen versteckenden — neomalthusianischen Ideologie wird vom Historiker Ian Innerhofer folgendermaßen auf den Punkt gebracht:

„In der Praxis ist neomalthusianische Bevölkerungspolitik nicht auf eine rein quantitative Reduzierung des Bevölkerungswachstums bzw. der Bevölkerungsdichte gerichtet, sondern setzt eine Entscheidung darüber voraus, wer ‚zuviel‘ ist.

Bereits Malthus verfasste seinen Essay als politische und ideologische Argumentation gegen die Armenunterstützung in England, denn diese würde die arme Bevölkerung dazu ermutigen, mehr Kinder zu bekommen. (...) Radikal zu Ende gedacht können malthusianische Ideen zur Inkaufnahme der physischen Vernichtung der ‚Überschussbevölkerung‘ führen“ (10).

Transhumanismus in der globalisierten Gesellschaft

Viele der bisher genannten transhumanistischen Konzepte und Ideen mögen vom heutigen Standpunkt aus abwegig und illusorisch erscheinen. Doch es ist wichtig, sich bewusst zu werden, dass der Transhumanismus als Philosophie und politisch-ökonomisch-wissenschaftliche Kraft bereits tief in die globalisierte Gesellschaft eingedrungen ist — ja diese in vielerlei Hinsichten bereits steuert. Führende Technologiekonzerne wie Google verpflichten Erz-Transhumanisten wie Ray Kurzweil — der die „technologische Singularität“ (11) für das bereits nicht mehr allzu ferne Jahr 2045 prophezeit — als Director of Engineering. Führende Pharmakonzerne haben sich der Entwicklung der „neuen Künste“ (lateinisch: novae artes) der Gen- und Biotechnologie verschrieben.

Die Chancen und Gefahren von Künstlicher Intelligenz — die höchstwahrscheinlich transhumanistisch „denken“ wird — sind in aller Munde, und auch der Diskurs rund um Cyborg-Enhancements, zum Beispiel in der Form von Chip-Implantationen, hat deutlich an Fahrt aufgenommen. Und in all den gesellschaftlich-politischen Diskursen zu diesen Themen zeigt es sich, dass die vom Transhumanismus gezeichneten Zukunftsvisionen — zumindest die gemäßigten — sich innerhalb des heute weit verbreiteten und in wissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Kreisen vorherrschenden Weltbildes des evolutionären Humanismus als schlüssig und nicht substanziell angreifbar erweisen.

Dies wird deutlich, wenn selbst transhumanismuskritische Werke, die jedoch von einem Standpunkt innerhalb des modern-evolutionären Weltbildes aus verfasst sind, keine validen Alternativen zu dem vom Transhumanismus aufgezeigten Weg in die Zukunft zu entwickeln vermögen. (Zweifellos sind Aufrufe zu „digitaler Mündigkeit“, zu bewusstem Medienkonsum und einer Einforderung ethischer Werte in der digitalen Welt unterstützenswert, aber sie vermögen dem grundsätzlichen transhumanistischen Entwicklungstrend nichts entgegenzustellen.)

Implementation transhumanistischer Technologien

Was bedeutet dies konkret? Meiner Überzeugung nach werden wir ohne einen grundlegenden Bewusstseinswandel in naher Zukunft Schritt für Schritt die Implementation von immer mehr transhumanistischen Technologien erleben. Dieser Wandel dürfte auf gesellschaftlicher Ebene — im Einklang mit der Überzeugung der Transhumanisten, sie würden lebensbefürwortende Prinzipien und Werte vertreten — als eine erwünschte (Utopie) oder zumindest eine notwendige (Abwehr der Dystopie) Entwicklung dargestellt werden. So könnte zum Beispiel das sich heute bereits verbreitende „Chipen“ bald zu einer hippen Mode-Erscheinung werden — vor allem unter jungen Menschen.

In der Arbeitswelt könnte das Chiptragen erst „freiwillig“ eingeführt werden (siehe aktuell TUI Schweden) und später immer mehr zu einer quasi-verpflichtenden Norm werden (Wer kommt heute beispielsweise noch ohne Smartphone aus?). Eltern erhalten die „freie Option“ eines eugenischen Enhancements ihrer zukünftigen Kinder, doch damit steigt natürlich auch gleichzeitig der Druck, dies zu tun (Welche Eltern unterlassen heute noch die Pränataldiagnostik und nehmen das „Wagnis“ eines behinderten Kindes auf sich?).

Natürlich gibt es viele „Alternative“, Aussteiger, Querdenker und Kritiker, doch solange der globale Mainstream auf der Transhumanismusschiene fährt, dürfte dies von Vertretern des transhumanistischen Weltbildes einfach als notwendiger Teil des „evolutionären“ Selektionsprozesses eingestuft werden.

Deshalb noch einmal: Ohne einen grundlegenden Bewusstseinswandel dürfte die nicht-natürliche, menschengesteuerte Evolution ungetrübt immer weiter vorwärtsgetrieben und die „technoide Eschatologie“ des Transhumanismus, die in das religiöse Vakuum der säkularisierten Menschheit tritt, in der einen oder anderen Form zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.



Alternativen zum Transhumanismus

Doch was sind denn nun wirkliche Alternativen zum Transhumanismus? Sind nicht viele der Grundüberlegungen und Argumente des Transhumanismus stimmig und stringent? Es lässt sich kaum bestreiten, dass die Menschheit in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht stagnieren kann, sondern sich in vielerlei Hinsichten weiterentwickeln muss. Auch leuchtet es ein, dass die Menschheit auf einem endlichen Planeten nicht unbegrenzt weiterwachsen kann. Zudem scheinen sich doch viele Menschen an den neuen Technologien zu erfreuen; viele bringen einen substanziellen Teil ihrer Zeit — und zwar scheinbar wirklich freiwillig — mit diesen Technologien zu und sie scheinen dies in keiner Weise als Entmenschlichung zu empfinden, sondern als Bereicherung.

Könnte es nicht sein, dass die vom Transhumanismus vorgegebene Grundrichtung in der Essenz stimmig ist und die Menschheit ganz einfach einen ganzheitlichen, ethischen und spirituellen Umgang mit ihren technologischen Errungenschaften finden muss und wird? — Sozusagen der spirituelle Cyborg als wahre Menschwerdung? — Überlegungen wie diese sind in der New-Age-Esoterik und anderen spirituellen Kreisen weit verbreitet. Sie können in vielen ihrer Züge zurückverfolgt werden auf den französischen Jesuitenpriester und späteren „New-Age-Propheten“ Pierre Teilhard de Chardin.

Der von Julian Huxley hochgelobte Teilhard machte es sich zur Lebensaufgabe, eine Synthese zwischen dem modern-evolutionären und dem christlichen Gedankengut zu erarbeiten — eine Synthese, die auch der technologischen Weiterentwicklung der Menschheit eine „cokreative“, wenn nicht gar spirituelle Rolle einräumt. Teilhard sah die Menschheit auf eine zunehmende Unifikation in der kollektiven Noosphäre (menschliche Geistsphäre) zulaufen, eine Entwicklung, die schließlich im sogenannten Omegapunkt kulminiere — dem Endpunkt der Evolution, der sich durch maximale Komplexität und Bewusstheit auszeichnet.

Die Teilhard‘sche Noosphäre lässt sich aus transhumanistischer Perspektive problemlos als das globale Internet, respektive die universale digitale Vernetzung aller Wesen und Dinge auslegen, und der Omegapunkt lässt sich als evolutionäres Konzept an die Stelle von Gott setzen. Dies hat zum Beispiel der Physiker Frank J. Tipler getan, der den Omegapunkt als zukünftige Singularität wahrnimmt, in welcher die Computerkapazitäten ins Unendliche streben, was eine exakte Simulation aller möglichen Varianten unseres Universums ermöglichen würde; dies wiederum setzt Tipler mit der Auferstehung der Toten zum ewigen Leben gleich (12).

„Spirituelle“ Auslegung des Transhumanismus

Die von Teilhard de Chardin vorgezeichnete „spirituelle“ Auslegung des Transhumanismus lässt die transhumanistischen Technologien in einem völlig anderen Licht erscheinen: Sie werden nicht als eine Gefahr, sondern im Gegenteil als eine entscheidende Ingredienz für die uns bevorstehende ganzheitliche Menschwerdung gesehen. Sehr prägnant kommt diese Sichtweise in einem Zitat der amerikanischen Futuristin Barbara Marx Hubbard zum Ausdruck:

„Wenn wir unser supramentales Bewusstsein mit unserer übermenschlichen technologischen Intelligenz kombinieren, können wir — wenn wir es wünschen — universelle Cokreatoren werden. (...) Kinder werden bewusst geboren, als Wunschkinder, beschützt vor Krankheit und Armut. Sie evolvieren sowohl spontan als auch mit transhumanistischen Kapazitäten (extended human capacities), sowohl genetischer wie robotischer Art. (...) Indem wir mit unserer Technologie verschmelzen, während wir unser Bewusstsein und unser Mitgefühl erweitern, im Einklang mit dem universellen Code ‚Bewussteres Leben Kreieren', transzendieren wir den animalischen Tod, unsere Abhängigkeit von diesem Planeten, Ressourcenknappheit und die Trennung vom Schöpfungsprozess“ (13).

Besteht die Lösung also darin, die transhumanistisch-evolutionären Technologien in ein ganzheitliches, menschenwürdiges Welt- und Zukunftsbild zu integrieren — wie dies Denkerinnen wie Marx Hubbard suggerieren?

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass es möglich ist, auf der Grundlage unterschiedlichster Weltbilder einen Humanismus und darauf aufbauend einen Transhumanismus zu formulieren. Humanismus und Transhumanismus sind letztlich Worthülsen, die mit unterschiedlichsten Sichtweisen und Konzepten unseres gegenwärtigen und zukünftigen Menschseins gefüllt werden können.

Im Streben nach Ganzheitlichkeit geht es insofern darum, reduktionistische Formen des Humanismus und Transhumanismus — und deren jeweilige Gesellschafts- und Technologiestrukturen — zu erkennen und zu überwinden. Unsere Konfrontation mit der gegenwärtig vorherrschenden transhumanistischen Philosophie und den daraus hervorgehenden Technologien fordert deshalb eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, wie ein wahrhaft ganzheitliches Weltbild — und davon ausgehend ein ganzheitliches Menschenbild, Naturverständnis und letztlich auch Gottesbild aussieht. Man kann nun argumentieren, dass Fragestellungen wie diese, ganze Bücher — ja gar Bibliotheken — zu füllen vermögen.

Das Konzept der Leib-Seele-Geist-Triade

Ich denke aber, dass eine erste Skizzierung einer Antwort nicht hochkomplex ausfallen muss — ja, nicht darf. In der hier gebotenen Kürze deshalb folgender Impuls: Eine der zentralen Grundlagen ganzheitlicher Metaphysik ist das universal verbreitete und anerkannte Konzept der Leib-Seele-Geist-Triade. Diese triadische Metaphysik kann — wie dies in unterschiedlichen Traditionen erfolgt — weiter ausdifferenziert werden, zum Beispiel durch den Einbezug grob- und feinstofflicher, lebensenergetischer oder morphogenetischer Ebenen. Wichtig ist jedoch, dass eine Reduktion dieser Triade — wie dies zum Beispiel im evolutionären Humanismus geschieht, der Seele und Geist auf den Leib reduziert — immer zu einem reduktionistischen, das heißt nicht-ganzheitlichen Weltbild führt.

Der Philosoph Jochen Kirchhoff, der sich intensiv mit den Konturen einer anderen, ganzheitlichen Naturwissenschaft der Zukunft auseinandergesetzt hat, bringt die grundlegende Bedeutung der Leib-Seele-Geist-Triade folgendermaßen auf den Punkt:

„Die Dreifachheit von Leib, Seele und Geist ist keine willkürlich angenommene, keine Konstruktion, sondern eine erfahrbare Wirklichkeit. Es mag sinnvoll sein, Seele als Formalprinzip oder Formalkraft des Leibes zu verstehen (in einer auf Aristoteles zurückgehenden Tradition), als das unser Bewusstsein weit übersteigende Prinzip der leiblichen Organisation, wobei das, was wir als Ich wahrnehmen, nur ein kleiner Ausschnitt darstellt. Das Ich ist ein Teil der Seele, aber die Seele ist mehr, sie übersteigt das Ich.

Offenbar ist die Seele eng verbunden mit der alle Lebewesen durchdringenden und ermöglichenden Lebensenergie, an deren realer Existenz nicht ernsthaft gezweifelt werden kann. Vielleicht bedient sich die Seele der Lebensenergie, um die je ganz konkrete und individuelle Gestalt oder Leibesorganisation hervorzubringen. Wenn dies so wäre, könnte die Dreifachheit zu einer Vierfachheit erweitert werden: Leib, Lebensenergie, Seele und Geist. (...) Wir sind Seele, wir partizipieren am Logos (der wir sicher auch ‚irgendwie' sind), und wir bewohnen den Körper (und haben doch auch hier eine gewisse Identität).

Keines der Elemente der Leib-Seele-Geist-Einheit kann, solange wir inkarniert sind, ohne Schaden für den Bestand des Ganzen herausgelöst oder isoliert werden. Die Wirklichkeit des Menschen ist diese komplexe und subtile Einheit von Ich-selbst-Sein, was immer auch ist: In-Gemeinschaft-Sein, Im-Leib-Sein und Im-Logos-Sein. Reduziert man den Logos auf den abstrakten Geist, den lebendigen Leib auf pure Materie und die Seele auf pure Subjektivität (ohne ontologischen Rang), bricht alles auseinander“ (14).

Die Transformation transhumanistischer Technologien

Spezifische Weltbilder bringen spezifische Formen von Technologien hervor. Ein Weltbild, das die Menschen reduktionistisch als Biomaschinen ansieht, die es evolutionär „weiterzuentwickeln“ und gleichzeitig in ihrer Population „kontrollierend“ zu begrenzen gilt, bringt entsprechende Technologien hervor. Ein ganzheitliches Weltbild würde diese Art Technologie in dieser Form nicht hervorbringen und auch nicht tolerieren.

Deshalb meine positive Prognose — und hiermit möchte ich enden: Das baldige Kommen eines wahrhaft ganzheitlichen Weltbildes wird die transhumanistischen Technologien nicht integrieren, sondern transformieren: cokreative Morphogenese anstatt Genmanipulation, Kooperation mit der natürlichen Schöpferintelligenz der Erde anstatt Künstliche (sozialdarwinistische) Intelligenz, energetische Reharmonisierung des gesamten Körper-Seele-Geist-Gefüges anstatt pharmakologischem Emotional- und Moral-Enhancement, Probiose anstatt Antibiose, Implosionstechnologie anstatt Explosionstechnologie, Lebenskraft anstatt Kernkraft, kollektives Bewusstseinsfeld anstatt, Radiästhesie anstatt Big-Data-Mining, feinstoffliche Medizin anstatt Nanobot-Medizin, 5D-Kommunikation anstatt 5G-Kommunikation, Radionic-Farming anstatt Gen-Pestizid-Robotik-Farming, Hellsehen anstatt Augmented-Reality-Sehen, Astralreisen anstatt Weltraumprogrammen, Seelenwanderung anstatt Kryonik und Gehirntransplantation ...

Wir sind alle eingeladen, die genannten Impulse aufzunehmen, zu ergänzen und nach unseren individuellen feinsinnigen Fähigkeiten — die durch den Schritt in die Ganzheitlichkeit wieder aus ihren „materialistischen Verkrustungen" herausgelöst werden — in unser Leben einfliessen zu lassen.


Samuel Peter, Jahrgang 1978, studierte in Zürich Germanistik, Anglistik und Religionswissenschaft. Nach Abbruch des Studiums, Ausbildung zum Anästhesiepfleger. Langjährige Beschäftigung mit integraler Philosophie und Lebenspraxis.


Jens Lehrich: „Nur Mut! Wenn wir uns ändern, verändert das die Welt!“


Quellen und Anmerkungen:

(1) Julian Huxley: New Bottles for New Wine, Readers Union Chatto & Windus, London 1959, S.13f (eigene Übersetzung)
(2) Julian Huxley: Evolutionary Humanism, Prometheus Books, 1992, S.73f (eigene Übersetzung)
(3) Ebd., S.223f
(4) Ebd. S. 263
(5) Thomas Robert Malthus: An Essay on the Principle of Population, Pelican Classics, Harmondsworth, 1970, S. 249f
(6) Julian Huxley: Evolutionary Humanism, S. 280
(7) Max More: The Philosophy of Transhumanism, in: The Transhumanist Reader: Classical and Contemporary Essays on the Science, Technology and Philosophy of the Human Future, John Wiley & Sons, 2013 (eigene Übersetzung)
(8) Stefan Lorenz Sorgner: Transhumanismus - „Die gefährlichste Idee der Welt“!?, Herder, Freiburg im Breisgau, 2016, S. 28
(9) Ebd., S. 76
(10) Ian Innerhofer: Neomalthusianismus, in: Birgit Kolboske (Hrsg.), Axel C. Hüntelmann (Hrsg,), Ina Heumann (Hrsg.), Susanne Heim (Hrsg.) und Regina Fritz (Hrsg.) Roman Birke (Hrsg.): Wissen Macht Geschlecht: Ein ABC der transnationalen Zeitgeschichte, Max Planck Institute for the History of Science, 2016.
(11) Zeitpunkt, an dem die exponentielle Wachstumskurve der Informationstechnologien in eine explosionsartige Zunahme von Wissen und technologischen Möglichkeiten übergeht; dies werde – so Kurzweil – schwer abschätzbare, fundamentale Umwälzungen für den Menschen und die menschliche Gesellschaft nach sich ziehen.
(12) Frank J. Tipler: Die Physik der Unsterblichkeit – Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten, Piper, München/Zürich, 2001, S. 272F
(13) Barbara Marx Hubbard: An Evolutionary Synthesis – A New World View, S. 42ff (eigene Übersetzung)
(14) Jochen Kirchhoff: Räume, Dimensionen, Weltmodelle – Impulse für eine andere Naturwissenschaft, Hugendubel (Diederichs), Kreuzlingen/München, 1999, S. 31f

Source www.rubikon.news

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