Die geheimdienstliche Formierung der EU mit dem BND

Die geheimdienstliche Formierung der EU mit dem BND

German Foreign Policy

Operationen von BND und Crypto AG für das föderale Europa. Schweiz als Tummelplatz der BRD- und US-Geheimdienste!


BERLIN/BERN/WASHINGTON (Eigener Bericht) - Die Aufklärung der kriminellen Aktivitäten des deutschen Spionagedienstes BND gegen dutzende UN-Mitgliedsstaaten und internationale Organisationen mittels der Schweizer Crypto AG wird in der Bundesrepublik verschleppt. Parlamentarische Wortmeldungen gehen in Berlin in zeitzehrenden Anfrageverfahren unter. Während die Schweizer Regierung einen Sonderermittler eingesetzt hat, hüllen sich die deutschen Anstifter in Schweigen. Gemeinsam mit der CIA sind sie für die Ausforschung angeblich befreundeter Staaten mit betrügerischen Dechiffriermaschinen verantwortlich. An den illegalen Operationen ist offenbar der Münchener Siemens-Konzern beteiligt, dessen Beziehungen zum BND legendär sind. Die Verschleppung der Aufklärung nimmt auf strategische Interessen Rücksicht, um die Berlin und Washington konkurrieren. Die taktische Kooperation von BND und CIA geht auf die Nachkriegszeit zurück und hat den BND zu einem Instrument bei der geheimdienstlichen Formierung der EU werden lassen - mit der Crypto AG.


Krimineller Kern

Die als sensationell angekündigten Enthüllungen über den systematischen Betrug mit der Crypto AG und "Rubikon", einer jahrzehntelangen deutsch-amerikanischen Geheimdienstoperation gegen fast sämtliche UN-Mitglieder [1], zeigen auch eine Woche nach Veröffentlichung in der Bundesrepublik keinerlei institutionelle Folgen. Es sei zu klären, "ob die parlamentarische Kontrolle vorsätzlich über rund zwei Jahrzehnte umgangen wurde", heißt es über eine Anfrage der Opposition im Bundestag [2] - nachdem die vorsätzliche Umgehung in den Medienveröffentlichungen längst nachgewiesen wurde und nicht die Form, sondern der kriminelle Inhalt Kern der Enthüllungen ist. Während der belgische Militärgeheimdienst SGRS öffentlich ankündigt, Untersuchungen anzustellen, lehnt der deutsche Anstifter BND jegliche Stellungnahme ab.[3]

Lizenzproduktion

Der BND verheimlicht, dass die auf 1970 datierte Kaufübernahme der Crypto AG durch BND und CIA die Crypto-Geschäfte, die im Dreieck Washington-Bern-Bonn seit geraumer Zeit stattfanden, lediglich fortschrieb, aber nicht begründete. Bereits in den 1950er Jahren unterhielt die westdeutsche Auslandsspionage ("Organisation Gehlen", ab 1956 BND) beste Beziehungen zur Crypto AG. In Westdeutschland kamen in diesem Zeitraum etwa 10.000 Dechiffriermaschinen des Unternehmens zum Einsatz. Die in der Schweiz angesiedelte Crypto AG erteilte eine Lizenz - in der Bundesrepublik fand die Produktion unter Aufsicht der in München stationierten deutschen Agenten mit NS- und SS-Herkunft statt. Es war das zweite Mal, dass Dechiffrierprodukte des Erfinders Boris Hagelin, formell Eigentümer der Crypto AG, auf deutschem Territorium nachgebaut wurden - zum ersten Mal in den Kriegsjahren, als die Wanderer-Werke in Chemnitz einen Dechiffriertyp mit der Serien-Bezeichnung C 41 herausbrachten; ob illegal, geht aus Hagelins Aufzeichnungen nicht hervor.[4]

US-Nachkriegsszenario

Während der Nazi-Zeit hatte Hagelin, eigentlich schwedischer Staatsbürger, die US-Geheimdienste mit Großauflagen seiner Erfindungen beliefert. Unter Aufsicht von Hagelin, der in die USA übersiedelte und dort als technischer Berater fungierte, wurden über 140.000 Dechiffriermaschinen seiner Baureihe M-209 für die US-Armee produziert. Bei Kriegsende folgte Hagelin seinen Auftraggebern zurück nach Europa, wo sich der CIA-Vorläufer OSS (Office of Strategic Services) in der Schweizer Hauptstadt auf die deutsche Kapitulation und politische Neuordnung des Kontinents vorbereitete. In einer unauffälligen Parterrewohnung (Bern, Herrengasse 23) ordnete der US-Resident und spätere CIA-Direktor Allen Dulles seit 1942 die klandestinen Kontakte zu Widerstandsbewegungen im deutsch okkupierten Westeuropa. Es war daher naheliegend, den Agentenzulieferer Hagelin ebenfalls in der Schweiz zu dislozieren und ihn in das US-Nachkriegsszenario einzubinden.

"Freies Europa"

Hagelins neue Adresse war von der Herrengasse nur zwei Autostunden entfernt - in der Schweizer Gemeinde Zug. Während Hagelin den Ortswechsel vorbereitete, um dort die Crypto AG zu gründen, startete die Berner US-Residentur eine Europa-Kampagne, die in einem Feuerwerk geheimdienstlich finanzierter Kongresse für die "Vereinigten Staaten von Europa" kulminierte, so 1946 in Hertenstein (Hagelins neuer Adresse direkt benachbart), 1947 in Montreux. Aufgabe der entstehenden US-Europa-Organisationen ("Europäische Union der Föderalisten", UEF) war die Unterwanderung nationalstaatlicher Strukturen im gerade befreiten Europa durch inszenierte Massenbewegungen.[5] Jugendorganisationen wie die "European Youth Campaign" wurden von US-Agenten mit monatlichen Schecks finanziert [6], um spontane Aktionen an den französischen Grenzanlagen vorzutäuschen ("Weg mit den Schlagbäumen - freies Europa").

Unter Beobachtung

Die von Dulles gesteuerten aggressiven US-Geheimdienst-Kampagnen, die einen großeuropäischen Wirtschaftsraum unter militärischer Oberhoheit der USA vorbereiten sollten, trafen in Paris, aber auch in London auf die Traditions- und Souveränitätsansprüche der heimischen Herrschaftszirkel. Ihre Bedenken galten Washington als lästig. Sie wurden ebenso unter CIA-Beobachtung gestellt wie die dissidenten Teile der westeuropäischen Gewerkschaftsbewegung.[7] Dies war der Zeitpunkt, um Hagelins Arbeit in vollem Umfang zur Geltung zu bringen und die verdeckten Europa-Operationen mit den Instrumenten der Crypto AG im schweizerischen Zug zu maximieren: Einschleusung manipulierter Dechiffriermaschinen in die diplomatischen und militärischen Kanäle der vertrauensvollen Käufer, deren Botschaften bei Crypto mitgelesen werden konnten - darunter der Schriftverkehr von Verbündeten. Was noch fehlte, waren die operativen Gehilfen.

Reiseroute "Rubikon"

Die nationalen Geheimdienste in Paris, London, Rom oder Brüssel kamen dafür nur bedingt in Frage, da sie in Widerspruch zu Teilen ihrer eigenen Regierungen geraten wären - zu den konservativen Herrschaftszirkeln ohne "Europa"-Begeisterung. Dulles, die CIA und ihre politischen Regisseure [8] griffen deswegen auf Helfer zurück, die zuverlässig und in jeder Hinsicht kontrollierbar erschienen - auf die die "Organisation Gehlen", den späteren BND. Die wegen unzähliger Verbrechen belasteten Agenten aus den Führungskreisen der ehemaligen NS-Abwehr waren erpressbar und auf die vollständige Deckung der US-Schutzmacht angewiesen. Ihre bayerische Operationsbasis in München-Pullach mit technischer Anbindung an den ebenfalls in München tätigen Siemens-Konzern eignete sich hervorragend für den logistischen Austausch mit der Crypto AG im Schweizerischen Zug. Crypto AG und BND etablierten, teils wöchentlich, teils täglich, die Reiseroute "Rubikon".

Traumziel Großeuropa

Unter den wachsamen Augen des Schweizer Staatsschutzes war das Schweizer Staatsgebiet zum Tummelplatz systematischer Agententätigkeit deutsch-amerikanischer Operationen geworden.[9] Bis etwa 1956 als CIA-Subunternehmer, dann auf eigene Kosten, sorgte die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Geheimdienst BND und der Crypto AG für die kriminelle Ausforschung, Durchdringung und Neutralisierung des politischen Widerstands in den westeuropäischen Nachbarstaaten: für Großeuropa - das Traumziel deutscher Geopolitik seit Kaiser Wilhelm II. bis Adolf Hitler.

 

Bitte beachten Sie auch: Ausspähen unter Freunden (II).

 

[1] S. dazu Ausspähen unter Freunden (II).

[2] Crypto AG - Ein Spionagethriller holt Deutschland ein. Süddeutsche Zeitung 12.02.2020.

[3] Belgien war Kunde bei der Crypto AG - war es auch Opfer? Grenzecho 14.02.2020.

[4] Boris Hagelin: The Story of the Hagelin-Cryptos. 3E 720. Hrg. Crypto AG o.J.

[5] Vgl. Hans-Rüdiger Minow: Zwei Wege - eine Katastrophe. Flugschrift No. 1. german-foreign-policy.com 2016. S. 23ff.

[6] Vgl. Euro-federalists financed by US spy chiefs. Daily Telegraph 19.09.2000.

[7], [8] Richard J. Aldrich: OSS, CIA and European Unity: The American Committee on United Europe, 1948-60. In: Diplomacy & Statecraft, Vol.8 (March 1997). S. 184-227.

[9] "Die zur Diskussion stehenden Ereignisse nahmen 1945 ihren Anfang und sind heute schwierig zu rekonstruieren und zu interpretieren", teilte das Schweizer Vereidigungsministerium der Deutschen Presse-Agentur in Wien mit. Die Welt 12.02.2020.


Textquelle: German Foreign Policy

Lesetipp via Multipolar Magazin




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