Die Ukraine hemmt Russlands Frühjahrsoffensive

Die Ukraine hemmt Russlands Frühjahrsoffensive

Nico Lange

Russland gewinnt die Initiative zurück und greift an mehreren Abschnitten der Front frontal an. Die russischen Truppen erreichen unter hohen Verlusten jedoch nur geringfügige Geländegewinne. Die Ukraine verteidigt und verzögert bisher erfolgreich. Wie ist die Lage und was wird gebraucht?

Russland greift im Nordosten in Richtung Kupjansk an und erzielt dabei geringe Gebietsgewinne. Auch von Kreminna in Richtung Lyman stößt Russland vor - mit geringen Zugewinnen von Gelände. 

Derzeit ist offen, ob Russland die Angriffe in Richtung Kupjansk und Lyman ausbauen und verbreitern kann. Ein weiteres russisches Vordringen würde die Lage am strategisch wichtigen Punkt Isjum und im Norden des Donbass verändern.

Sowohl nördlich als auch südlich von Bachmut führt Russland die Angriffe unvermindert fort. Die Ukraine wird Bachmut absehbar räumen müssen, um erfahrene und kampfstarke Truppen rechtzeitig vor einer russischen Umfassung zurückzuziehen.

Die Ukraine kann sich im Donbass bei einem Verlust von Bachmut auf gut ausgebaute Stellungen zurückfallen lassen und dann die harte Verteidigung fortsetzen. Der russische Angriff wird so weiter verzögert und Russland erleidet weiter sehr hohe Verluste.

Mehrere Wellen eines russischen Großangriffs bei Wuhledar scheiterten vollständig an der ukrainischen Verteidigung. Russland verlor wertvolle kampfstarke Verbände und viel Material.

Insgesamt erweist sich die russische Offensive bisher ohne große Wirkungskraft. Russland greift frontal in den erwarteten Abschnitten an, generiert weder erdrückendes Übergewicht noch Überraschungsmoment und erleidet seit einer Woche die höchsten Verluste seit langer Zeit.

Russland scheint auch nach einem Jahr Krieg operativ nicht zu komplexen, großen Angriffen mit verbundenen Waffen in der Lage. Stattdessen besteht die russische Offensive aus mehreren lokalen Angriffen, häufig gestützt auf primitiven und verlustreichen Infanteriesturm. 

Russland wird vermutlich dennoch weiter darauf setzen, mit Frontalangriffen aufgrund des Einsatzes von Masse letztlich an einem Frontabschnitt durchzubrechen und den Angriff dann an dieser Stelle auszubauen. Nach dem Verlauf der Kämpfe der letzten Tage scheint das jedoch wenig wahrscheinlich.

Die Ukraine braucht weiterhin vor allem Munition. Die stumpfen russischen Frontalangriffe könnten der Ukraine in der Verteidigung nur größere Probleme bereiten, wenn ein eklatanter Mangel an Artilleriemunition eintreten sollte. 

Nachdem die USA bereits die Produktionskapazitäten für Artilleriemunition erhöhten, gibt es jetzt endlich auch auf der EU-Ebene eine Initiative dafür. Schnelles Auslösen hoher Produktionskapazitäten durch die EU wäre strategisch bedeutsam und der dauerhaft gesicherte Munitionsnachschub an die Ukraine ein wirksames Mittel gegen die russische Kriegsführung.

Die Ukraine braucht Waffen und Munition mit höheren Reichweiten, insbesondere um den Küstenstreifen im Süden für Gegenangriffe vorzubereiten. Russland hält wichtige Einrichtungen dort genau außerhalb der aktuellen ukrainischen Reichweiten.

Die Ukraine braucht möglichst viele Drohnen, auch kommerzielle, sowie Systeme zur Drohnenabwehr, kinetisch und elektromagnetisch.

Immer dringender wird für die Ukraine die Abwehr umfunktionierter S-300-Raketen und von Kamikaze-Drohnen, mit denen Russland die Zivilbevölkerung in den grenz- und frontnahen Großstädten terrorisiert. 

Die Ukraine braucht zur Abwehr des massenweisen Beschusses mit umfunktionierten S-300 und Drohnen Systeme wie Iron Dome oder C-Ram-Systeme wie Phalanx, MANTIS oder Centurion.

Die Ukraine braucht weiterhin Zeit zur Stärkung der Reserven, um die angekündigten und teilweise bereits gelieferten Schützenpanzer und Kampfpanzer zu integrieren und das Gefecht der verbundenen Waffen zu üben.

Eine ständige Pipeline der Ausbildung, auch der Ausbildung in der Operationsführung ab Brigadeebene aufwärts wird weiterhin benötigt.

Die Diskussion um Kampfflugzeuge bleibt für die mittelfristige Perspektive der Ukraine relevant. Luftunterstützung aus mittleren Höhen könnte die Befreiung ukrainischer Gebiete durch Truppen am Boden wirksam unterstützen. Gebraucht würden dafür Multi-Role-Flugzeuge wie z.B. die F-16. 

Der Mythos einer überwältigenden, schier unendlichen Stärke Russlands und die Idee einer großangelegten Frühjahrsoffensive, die die Ukraine überrollen würde, werden von den militärischen Realitäten nicht gedeckt. 

Ukrainische Verteidigung und Verzögerung hemmen bisher Russlands Frühjahrsoffensive. Die Ukraine kann sich immer wieder auf neue ausgebaute Positionen zurückfallen lassen und erhöht derzeit ihre Chancen auf Gegenangriffe.

Mit der notwendigen massiven Unterstützung hat die Ukraine realistische Chancen, den russischen Angriffen weiter standzuhalten und danach mit Gegenangriffen weitere eigene Gebiete zu befreien. 

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Karte: (@War_Mapper)

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