Die Schule in Not
Redaktion Wir Noi NewsZwei Lehrer haben sich anonym über die unerträglichen Zustände an einigen Schulen in Südtirol geäußert
Es wird von einigen Vorfällen aus jüngster Zeit berichtet, wie dem eines Jungen, der in einer Mittelschule in Meran von einem Mitschüler mit einem Messer bedroht wurde, oder dem eines Jungen, der einige Tage später von Mitschülern im Bus verprügelt wurde. Das sind Nachrichten, aber es gibt eine ganze Reihe von Vorfällen, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen: Schülerinnen, die sexuell missbraucht oder sich selbst überlassen werden, Jungen, die Selbstmordgedanken haben. Und andere äußerst schwierige Situationen.
Angesichts dieser problematischen Situation - es genügt zu sagen, dass Anfang Mai mehr als tausend Lehrer die Petition "Schule in Not" unterschrieben haben - haben zwei Lehrer, die sich nicht offiziell äußern konnten, den Weg eines anonymen Interviews gewählt, um das Thema öffentlich zu machen.
"Wenn ich an meine Ausbildung denke", sagte eine der beiden Personen, ein Mittelschullehrer, "muss ich sagen, dass der Schulalltag nichts mit dem zu tun hat, was ich während meiner fünfjährigen Ausbildung gelernt habe. Ich bin mit Dingen beschäftigt, die nichts mit dem zu tun haben, was ich gelernt habe".
Die Schulbehörde hat die Kriterien für die Zuweisung von Personal für die Integration angehoben, stellt der Lehrer fest. "Manchmal muss ich mich auf einen Schüler in einer problematischen Situation konzentrieren".
Zu viele Kinder brauchen Hilfe. Die Hilfe wird von der Schule nicht angefordert oder ist schlecht organisiert. Es dauert Monate, bis man Psychologen oder Sozialarbeiter bekommt.
Sein Kollege wünscht sich Arbeitstische, an denen die betroffenen Lehrer teilnehmen und nicht die Schulleiter: "Die Schulbehörde muss aufhören, an einem Tisch zu sitzen. Außerdem ist es nutzlos, wenn nur Schulleiter eingeladen werden, die den Alltag im Klassenzimmer nicht kennen. Die Schulbehörde muss auf die Menschen hören, die täglich mit den Kindern arbeiten".
Die beiden Lehrer fordern mehr Unterstützung für Schulen in Schwierigkeiten und betonen, dass die Qualität des Systems nicht an Schulen gemessen werden kann, in denen es keine Kinder und Jugendlichen mit ernsthaften Problemen gibt. Im Gegenteil, gerade die problematischen Orte sollten als Indikator für den Stand der Dinge dienen. Gerade dort werden ständig Psychologen, Logopäden, Sprachlehrer und Pädagogen benötigt. Wenn nicht rechtzeitig gehandelt wird, so betont einer der beiden Gesprächspartner, besteht die Gefahr, dass erfahrene Lehrer den Problemschulen den Rücken kehren.
Ist die Anonymität das Problem?
Das Interview sorgte für Aufsehen in Politik und Medien. Arnold Tribus, Chefredakteur der Neuen Südtiroler Zeitung, war empört. Nicht wegen des Themas, sondern über ein Problem der Etikette: Man sollte offen über diese Themen sprechen, sein Gesicht zeigen und seinen Namen sagen. Andernfalls könne man nicht erwarten, dass man den neuen Generationen Meinungsfreiheit und Zivilcourage beibringen könne. "So wird Duckmäusertum auch in der Schule gefördert".
In einer Diskussion mit ASGB-Schulgewerkschafterin Petra Nock und Fragen von Elisa Tappeiner von Rai Südtirol wiederholte Tribus seine Kritik: “Wir züchten so eine Lehrergeneration an, die den Kindern mit schlechtem Beispiel vorangeht und wir fördern Duckmäusertum."
"Von Duckmäusertum kann keine Rede sein. Die beiden Lehrpersonen waren sehr mutig. Diese Lehrpersonen haben auch zum Schutz der Kinder keine Namen Preis gegeben, denn das hätte in unserer Gesellschaft Folgen haben können", betonte Petra Nock.
“Die Lehrer wären gefeiert worden, hätten sie sich zu erkennen gegeben und die Dinge beim Namen genannt", so erklärt er.
"Keineswegs", erklärte Nock: “Sie wären gekreuzigt worden. Lehrer:innen stehen am Pranger, wenn sie nicht dem System und den Eltern entsprechen.”
Der politische Blick
Bildungslandesrat Philipp Achammer (SVP) sagte: "Ich stehe immer hinter Lehrern, die auf Schwächen hinweisen. Kritik ist die Grundlage, um die Weichen für die Zukunft zu stellen", so erklärte er.
Kritik ist sicher eine demokratische Praxis, ähnlich wie bei Wahlen, wo man seine Stimme abgibt. Es bleibt die Frage, ob die beiden Lehrer kritisieren oder einfach nur die Fakten nennen wollten, damit ernsthafte Maßnahmen ergriffen werden können. Wer weiß, welchen Stellenwert dieses Thema in naher Zukunft in seinem persönlichen Wahlkampf haben wird.
Ein Leserbrief in der Dolomiten Zeitung
An Tribus antwortete mit einem nicht anonymen Brief Christian Stadler, Jurist, Mitbegründer der Bewegung " Freie Bildungswelt " und Leiter des Schulbereichs in der Gewerkschaft AGO. Stadler stellt sarkastisch fest, dass Tribus paradoxerweise absolut Recht hat: Lehrer sind Duckmäuser. Wenn man den Blickwinkel erweitert, wie es Stadler in seinem Brief tut, ist es leicht zu verstehen, warum Lehrer das sind. Die Schule ist der Spiegel der Gesellschaft, heißt es in dem Brief, und so ist es leicht zu verstehen, warum Lehrer dazu neigen, zu schweigen: Der Druck der politischen Korrektheit ( Cancel Culture und so weiter und andere Themen der jüngsten Vergangenheit ) ist so stark, dass eine freie Meinungsäußerung die eigene Karriere und den Ruf gefährden kann. Es braucht wenig, um Mäuse zu werden, die Duckmäuser genannt werden. Die "autonome Schule", dieses schöne Wort, hat zu einer Machtverschiebung zu Lasten der Lehrer geführt. Nicht Mitbestimmung, sondern Zustimmung wird gepflegt. Die Verwaltung der Welt der Bildung ist so geworden: Nicht das Recht schafft die Voraussetzung für eine gute Schule, sondern der gute Charakter der Vorgesetzten. Das ist es, was einen dazu bringt, eine Duckmaus zu sein. Auch aus gesellschaftlicher Sicht ist somit- ebenso sarkastisch gemeint- die Diagnose, die Tribus stellt, treffend: Kein Vorbild für Schüler.
Jetzt ist es an der Zeit, darüber nachzudenken.
Quellen:
- https://raibz.rai.it/streaming/Netia_Export/8e3a309a-5170-4f6d-9d7a-f6f8630bf4b0.mp3