Coronavirus-Pandemie: Ahnungslos auf der Zielgeraden

Coronavirus-Pandemie: Ahnungslos auf der Zielgeraden

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Coronavirus-Pandemie Ahnungslos auf der Zielgeraden

Wann gilt die Pandemie als besiegt? In einigen Wochen oder erst in Jahren? Wie wichtig sind Inzidenz und Impfquote? Forschende vermissen belastbare Daten. Die Regierung operiere im "Daten-Dunkelfeld".

Von Angela Tesch, ARD-Hauptstadtstudio

Es ist so oft beschworen worden in den letzten Monaten: Das lang ersehnte Licht am Ende des Tunnels. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sah es zu Weihnachten schon heller werden. Doch trotz Impfstart zum Jahreswechsel verdunkelte sich der Tunnelausgang wieder. Denn die Infektionszahlen stiegen, die Intensivstationen füllten sich.

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Die Sieben-Tage-Inzidenz wurde zum Maßstab für das Öffnen oder Schließen. Es war wieder Zeit für Durchhalteparolen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sprach vom "klugen Ausbalancieren": mehr Impfen und Stabilität. "Auch durch die Maßnahmen kommen wir am Ende auf eine Zielgerade", sagte Söder. "Ich gebe zu, es ist eine längere, aber es ist eine Zielgerade."

Doch wann sind wir nicht nur auf der Zielgeraden, sondern auch im Ziel? Bei einer Inzidenz unter 100, unter 50 oder bei Null? Sollten zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sein oder reicht schon die Hälfte? Das beschäftigt nicht nur Virologen und Epidemiologen.

Eine Politik ohne Datengrundlage

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüter, kritisiert die - wie er sagt - Empirie-Freiheit der politischen Entscheidungen. Dies sei, was der Expertenrat in Nordrhein-Westfalen bereits vor einem Jahr schon aufgeschrieben habe. "Dass die Politik sich nie die Datengrundlage besorgt hat, die sie eigentlich benutzen müsste", sagt Hüter. "Dass wir in einer Ahnungslosigkeit sind, dass im Gesetzentwurf zur 'Bundesnotbremse' steht, wir haben ein diffuses Infektionsgeschehen."

Das Robert Koch-Institut (RKI) erfasst täglich die Infektionszahlen, Alter und Wohnort der positiv Getesteten. Nach Beruf oder dem sozialen Kontext wird aus Datenschutzgründen in Deutschland nicht gefragt. Auf den Intensivstationen fällt plötzlich auf, dass jetzt viele ärmere Patientinnen und Patienten behandelt werden. Kleinere, lokale Studien widersprechen sich darin, ob Schüler oder Kita-Kinder besonders ansteckend sind.

Von einem Daten-Dunkelfeld spricht Christiane Woopen, die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats. Sie fordert für Genesene und Geimpfte, dass die ganze Zeit über regelmäßig getestet und begleitet wird. "Damit man sieht: Wie hoch sind die Antikörper? Wann kann jemand wieder infiziert werden oder andere infizieren? Wie entwickelt sich das eigentlich mit der Immunität?"

Mit Impfungen zurück zur Normalität

Politikerinnen und Politiker lassen sich wissenschaftlich beraten. Aber das Virus ist neu, es verändert sich und wird erst nach und nach erforscht. Wann also könnte die sogenannte Herdenimmunität erreicht sein, die einen Schutz auch für Ungeimpfte bietet? Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer rechnet damit, wenn 60 oder gar 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. "Ich denke, dass die Impfungen der wichtigste Punkt sind, um uns in die Normalität zurückzubringen", sagte er.

Lars Schaade vom RKI hofft auf eine Grundimmunisierung, wie es sie auch bei anderen Krankheiten gibt. Das Virus werde nicht verschwinden.

Ausgerechnet der ewige Warner in der Pandemie, SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, sieht auf kürzere Distanz Licht am Ende des Tunnels. Bereits Mitte oder Ende Mai werde man einen Effekt wahrnehmen, wenn mehr als 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung eine Erstimpfung hätten, sagt Lauterbach. "Dann gehen die Fallzahlen auch durch die Impfungen herunter."

Dann sollte die gute Entwicklung aber nicht verspielt werden, weil zu früh alles gelockert würde.

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