Berliner Verfassungsschutz beobachtet "KenFM"

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Berliner Verfassungsschutz "KenFM" unter Beobachtung

Die Medienplattform "KenFM" wird nun vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet. Dort würden Desinformation und Verschwörungsmythen verbreitet und damit die Szene der "Querdenker" weiter radikalisiert, heißt es.

Von Florian Flade, WDR, und Georg Mascolo, NDR/WDR

Kayvan Soufi-Siavash will Deutschland offenbar verlassen. Der ehemalige Radiomoderator, besser bekannt unter seinem Künstlernamen "Ken Jebsen", fühlt sich hierzulande wohl zunehmend unter Druck. Daher wolle man nun in ein Land umziehen, in dem man in Ruhe arbeiten könne, sagte er Anfang Mai in einer Videobotschaft. Soufi-Siavash betreibt seit einigen Jahren das umstrittene Medienportal "KenFM", auf dem unter anderem Beiträge mit Falschinformationen über die Corona-Pandemie verbreitet werden.

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"KenFM ist ein medialer Mülltrenner", heißt es auf der Webseite. "Bei uns landen harte Themen nicht im Giftschrank." Es gehe darum, "die Sichtweise auf politische Ereignisse um alternative Blickwinkel zu erweitern". Außerdem hatte er in der Vergangenheit erklärt, man lege lediglich Wert auf Vielfalt und Diskussion.

Der Journalist Kayvan Soufi-Siavash betreibt das umstrittene Portal. Bild: picture alliance / Maks Vetrov/S

Plattform ist nun "Verdachtsfall"

Der Berliner Verfassungsschutz sieht dies anders. Die Behörde hält "KenFM" für eine Plattform, über die gefährliche Verschwörungserzählungen verbreitet werden und hat das Portal daher nach Informationen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) im März als Verdachtsfall eingestuft. "KenFM" verbreite Falschinformation und Desinformation, und treibe damit die Radikalisierung der sogenannten Querdenker-Szene voran, heißt es im Verfassungsschutz.

Seit Anfang 2012 existiert das Medienportal "KenFM", gegründet hatte es der gebürtige Krefelder Kayvan Soufi-Siavash alias "Ken Jebsen", der zuvor rund zehn Jahre lang beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) die Sendung "KenFM" moderiert hatte. Er wurde im November 2011 vom Sender entlassen. Zahlreiche seiner Beiträge hätten "nicht den journalistischen Standard des rbb" entsprochen, hieß es in der Begründung. Kurz zuvor hatte der Publizist Henryk M. Broder eine E-Mail des Radiomoderators veröffentlicht, in der unter anderem stand: "ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat".

Auf YouTube gesperrt

Mittlerweile finden sich auf der "KenFM"-Webseite zahlreiche Beiträge, in denen Verschwörungserzählungen über das Corona-Virus, über Impfungen und die Stiftung von Bill Gates verbreitet werden. Die Videoplattform YoutTube hatte den Kanal von "KenFM" bereits Ende vergangenen Jahres gesperrt, aufgrund der Verstöße gegen die Corona-Richtlinien. Es seien medizinische Falschinformationen verbreitet worden.

Auch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) hat inzwischen ein Verfahren gegen "KenFM" eingeleitet. Die Webseite erfülle die journalistische Sorgfaltspflicht nicht.

Die Einstufung von "KenFM" durch den Berliner Verfassungsschutz ist das Ergebnis einer monatelangen Prüfung. Schon im vergangenen Jahr untersuchte der Inlandsnachrichtendienst die Corona-Proteste, die Aktivitäten von Verschwörungsideologien und die mögliche Einflussnahme fremder Staaten. Dabei kamen die Verfassungsschützer zum Ergebnis, dass nicht nur bekannte Rechtsextremisten oder "Reichsbürger" das Thema Corona für sich entdeckt hatten, sondern dass auch eine neue Form des Extremismus entstanden sei, die nicht in die üblichen Kategorien passe - ein "Extremismus sui generis".

Verfassungsschützer sehen Staatsgefährdung

Die Verfassungsschützer sind überzeugt, dass vielen Anhänger der Querdenker-Bewegung die Corona-Situation und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nur als Vorwand dienten. Eigentlich gehe es ihnen um darum, dem Staat die Legitimität abzusprechen und einen Systemwechsel herbeizuführen – notfalls auch mit Gewalt.

In mehreren Bundesländern wurden daraufhin die radikalen Teile der Querdenker-Szene durch die jeweiligen Verfassungsschutzbehörden in den Blick genommen. Im Dezember 2020 schon wurde in Baden-Württemberg die Organisation "Querdenken 711" aus Stuttgart und ihre regionalen Ableger zum Beobachtungsobjekt erklärt. Auch in Bayern, Hamburg und Thüringen rückten die Verschwörungsideologen in den Fokus der Verfassungsschützer.

Querdenker bundesweit unter Beobachtung

Ende April dann folgte schließlich auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und gab eine bundesweite Beobachtung der Szene bekannt. Dafür wurde eigens eine neue Kategorie geschaffen, der Phänomenbereich trägt den sperrigen Namen "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates", das dazugehörige Sammelbeobachtungsobjekt heißt: "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates".

Der Berliner Verfassungsschutz hat sich nun dafür entschieden, mit "KenFM" auch ein Medium zu beobachten, das dafür verantwortlich gemacht wird, mit Falschinformation und Verschwörungserzählungen zur Radikalisierung der Szene beizutragen. Auf Anfrage wollte das Amt zu dem neuen Verdachtsfall keine Stellung nehmen.

Gegenüber den anderen Landesämtern argumentieren die Berliner Verfassungsschützer, inzwischen erlebe Deutschland die ersten Auswirkungen eines regelrechten "Informations-Guerillakampfs," die politische Entfremdung werde von einem Teil der sogenannten "Alternativen Medien" regelrecht geschürt, Vertrauen untergraben. Die wachsende Reichweite entsprechender Plattformen in den sozialen Medien sei heute schon so groß, dass man selbst Entwicklungen wie in den USA nicht mehr völlig ausschließen könne. Dort war am 6. Januar das Kapitol in Washington D.C. von Demonstranten gestürmt worden, die sich auf allerlei Verschwörungserzählungen beriefen.

Das Berliner Vorgehen ist auch im Verfassungsschutzverbund nicht unumstritten. Kritiker merken an, der Inlandsnachrichtendienst dürfe sich nicht mit immer mehr Beobachtungsobjekten übernehmen, schließlich gebe es vor allem in den Landesbehörden nur begrenzt Ressourcen. Zudem drohe das Risiko von Klagen. Der Verfassungsschutz müsse außerdem im Bereich von Medien besonders sensibel agieren. Mangelnde Qualität in der Berichterstattung könne beispielsweise kein Grund für eine Überwachung sein.

Source www.tagesschau.de

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