Berliner Polizist: „Ich mach’ da nicht mehr mit“
www.vierte.onlineNach 27 Einsatzjahren bei der Polizei Berlin hat Martin Schmidt (Name von der Redaktion anonymisiert) genug. Im Interview rechnet der Polizeibeamte im gehobenen Dienst mit einem System ab, das sich über das Gesetz stellt und Demonstrationen gewaltsam verhindert.
Was war Ihre Motivation Polizist zu werden?
Martin Schmidt: Es ging mir um Gerechtigkeit, darum, die Schwachen zu schützen und Verbrechen zu bekämpfen. Deswegen bin ich zur Polizei gegangen. Ich hatte lange diese Vorstellung, dass die Polizei das Gute vor dem Bösen schützt. Doch das macht die Polizei nicht mehr. Dabei habe nicht ich mich verändert, sondern das Koordinatensystem hat sich verschoben. Heute bin ich so weit, dass ich den Beruf nicht mehr ausüben kann und möchte.
Nach 27 Dienstjahren gehört bestimmt einiges dazu, Ihren Dienst demnächst zu quittieren. Was war der Auslöser?
Meine innere Kündigung ist ein Prozess, der schon vor einigen Jahren seinen Anfang hatte und während der Corona-Krise den Höhepunkt erreichte. Die mit gnadenloser Härte geführten Polizeieinsätze gegen Kritiker der Corona-Maßnahmen, das unverblümte Handeln nach Doppelstandards und die unverhältnismäßige Polizeigewalt, die ich auch persönlich, als Augenzeuge, mit ansehen musste, haben mich im wahrsten Sinne des Wortes krank gemacht. Mir ist schmerzlich klar geworden, dass ich meinen Dienst, den ich so viele Jahre mit Leidenschaft und großem Engagement verrichtet habe, nicht weiter ausüben kann.
Als Polizeibeamter haben Sie einen Eid auf die Verfassung des Landes Berlin und auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland abgelegt.
Ja, deswegen bin ich auch so erschüttert, dass es seit März 2020 ohne großen Widerstand gelingt, die Außerkraftsetzung der unveränderlichen Grundrechte durchzusetzen – alles unter dem Vorwand, die Bevölkerung vor einem Virus schützen zu wollen. Dieser Rechtsbruch wurde legalisiert, indem das Parlament Änderungen des Infektionsschutzgesetzes und die Feststellung einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite beschloss. Anstatt auf die Einhaltung von Recht und Gesetz, auf Verhältnismäßigkeit und den Schutz der Grundrechte zu pochen, hat sich die Polizei leider zum Erfüllungsgehilfen eines übergriffigen Staates gemacht.
Wie fühlen sich Polizisten, wenn sie unsinnige Maßnahmen durchsetzen müssen, Menschen aus der Bahn holen, Gastwirtschaften schließen, Parteigründungen, Familientreffen auflösen? Warum jagen Polizisten mit dem Dienstwagen im Park Jugendliche, nur weil diese sich umarmen?
Die ständige Diffamierung der „Querdenker“ hat sich auch in den Köpfen der Kollegen eingenistet. Ich kenne aber viele, die Unbehagen bei besonders brutalen Szenen verspüren. Die kritischen Kollegen trauen sich jedoch nicht, ihre Meinung frei zu sagen, aus Angst vor Ausgrenzung, einem Karriereknick, bis hin zum Jobverlust.
Die sogenannte Cancel Culture war schon vor 2020 vorhanden und hat die freie Meinungsäußerung auch bei der Polizei eingeschränkt. Inzwischen haben sich diese spitzen Messer in scharfe Schwerter verwandelt, durch die der Rechtsstaat massiven Schaden nahm. Zum Beispiel hätte ich in Deutschland Hausdurchsuchungen bei Richtern, nur weil diese unliebsame Urteile fällen, nie für möglich gehalten. Viele Hausdurchsuchungen dienen nicht nur der Sicherung von Beweismitteln, sondern der Einschüchterung. Statt Schwerkriminelle trifft es jetzt unbescholtene Ärzte, Richter, Anwälte und so weiter. Und generell bekommen die Ermittler der Staatsschutzabteilung viel leichter Durchsuchungsbeschlüsse als die der Verbrechensbekämpfung.
Hat der Einsatz der Polizei gegen die eigene Bevölkerung erst mit Corona begonnen?
Die Polizei wird seit Jahren ideologisiert. Führungskräfte werden in Seminaren, die teilweise Pflichtveranstaltungen sind, politisch geschult. Unter anderen von Mitarbeitern des Vereins „Der goldene Aluhut“, einer Organisation, die pressewirksam Schmähpreise an vermeintliche „Verschwörungstheoretiker“ verleiht. Diese politischen Aktivisten sind keine neutralen Experten und damit keine seriösen Kandidaten, um Polizeibeamte zu schulen. Das ist nur ein Beispiel dafür, warum die Polizei so auf Regierungslinie ist.
Die meisten Polizisten leben inzwischen in ihrer eigenen Welt und merken diese Doppelmoral nicht. Auf der Straße ahnden sie noch so kleinste Verstöße, aber auf der Wache, in den Schreibstuben, Aufenthaltsräumen oder der Raucherecke sind sie dicht beisammen. Das ist bürgerfern. Und es widert mich an.
Welches Vorgehen der Polizei Berlin hat Sie besonders erschüttert?
Am 18. November 2020 wurde in der Randale-Hauptstadt Berlin wieder ein Wasserwerfer-Einsatz gegen Demonstranten befohlen – zum ersten Mal nach 17 Jahren. Ausgerechnet am Tag der entscheidenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Das ist bezeichnend. Intern kursierten schriftliche und mündliche Dienstanweisungen, bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen niedrigschwellig einzuschreiten. Das stellte eine totale Abkehr von der Deeskalationsstrategie dar, die die Berliner Polizei davor jahrelang praktizierte.
Und aus meiner Sicht kam es ganz klar zu rechtswidrigen Handlungen gegen die Demonstranten, die ein ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht vorwiesen. Bei Versammlungen wurden echte Atteste dutzendfach beschlagnahmt und ein Ermittlungsverfahren wegen Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse eingeleitet. Dabei nahmen Einsatzkräfte die Betroffenen in freiheitsbeschränkende Maßnahmen und untersagten diesen Personen anschließend, weiter zu demonstrieren. Ich weiß, dass die Kollegen zahlreiche Gesundheitszeugnisse willkürlich als Fälschungen oder Gefälligkeitsatteste eingestuften, dieselben Dokumente waren auf derselben Versammlung kurz davor durch dieselbe Polizeieinheit unbeanstandet geblieben. Der Polizeiführer hatte wohl angeordnet, alle Atteste noch einmal einzusehen und mit der noch so abwegigsten Begründung einzuziehen. Dadurch raubte die Polizei den Menschen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, behinderte Versammlungen, schüchterte Demonstranten ein und überzog sie mit Ermittlungsverfahren, die jeglicher Grundlage entbehrten. Juristisch ist das eine Verfolgung Unschuldiger. Und ich rate jedem Betroffenen, eine Strafanzeige zu erstatten.
Sie sprechen die Verfolgung Unschuldiger an. Wie sieht es da mit den Impfpässen aus?
Es gibt interne Anweisungen, auch bei den Impfpässen unrechtmäßig vorzugehen. Erst nachträglich wurde ein Gesetz erlassen, das die Fälschung von Impfpässen strafbar machte. Laut Dienstanweisung sollen Polizisten aber auch jene Impfpässe anzweifeln, die vor dem Stichtag der Gesetzesänderung ausgestellt wurden. Diese Verfahren müssen dann wieder eingestellt werden, es handelt sich also um eine reine Schikane und Geldverschwendung. Dabei werden übereifrige Apotheker, die trotz fehlender Strafbarkeit personenbezogene Daten erfassen, abgleichen und speichern, nicht belangt.
Aber auch das Versagen der Polizeigewerkschaften ist unfassbar. Im Dezember 2021 waren noch 20 Prozent der Kollegen ungeimpft. Sie mussten täglich einen negativen Test vorweisen, um überhaupt das Dienstgebäude betreten zu dürfen. Bis das Ergebnis da war, mussten sie 15 Minuten in der Kälte warten – während die geimpften Kollegen von der Testpflicht komplett befreit waren. Da gab es dann schon mal blöde Sprüche, wie „Selbst schuld, lass dich doch einfach impfen.“ Sonst werden Minderheitenrechte groß geschrieben, aber da kam von den Gewerkschaften gar nichts. Sie haben die Diskriminierung ungeimpfter Polizeibeamter mitgetragen.
Im April 2021 schaltete sich der damalige UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, ein. Er kritisierte die „Kultur der Toleranz für Polizeigewalt” in Berlin. Viele Menschen, die die Einsatzhundertschaften bei den Demonstrationen der vergangenen zweieinhalb Jahre erlebt haben, fragen sich, ob da vor allem Soziopathen rekrutiert werden?
Einige Einsatzhundertschaften sind trainiert, gegen Randalierer und schwerstkriminelle Straftäter vorzugehen. Diese Einheiten sind wie Kampfhunde, die losrennen, sobald sie von der Leine gelassen werden. Bei Protesten der linken Szene werden diese Hundertschaften zurückgepfiffen und es gibt Dutzende verletzte Polizisten. Das erzeugt Frust. Bei den Demonstrationen für die Einhaltung der Grundrechte werden dieselben Einsatzhundertschaften von der Führung dann nicht mehr zurückgehalten und auch von den Medien für ihre Gewalttaten nicht verrissen. Den Kollegen ist es egal, wen sie vor sich haben. Da reicht es, wenn jemand die Anordnungen nicht befolgt. Wenn der Befehl „Zugriff“ ertönt, legen die Jungs los. Egal, ob es sich dann auch mal um ältere Frauen handelt. Einzelne Polizeibeamte sind einfach geil auf Gewalt. Und da kein Entscheidungsträger sie zurückpfeift, toben sie sich aus.
Dieselben Politiker und Polizeiführer, die vorher die Kollegen beim Vorgehen gegen wirklich gewaltbereite Teilnehmer ausbremsten, haben also eine Kehrtwende vollzogen und ein hartes Vorgehen befohlen. Plötzlich gibt es dafür Rückendeckung – sogar aus der traditionell polizeifeindlichen Partei der Grünen. Die forderten Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz gegen „Querdenker“. Die Politik, die Leitmedien, die vielen Verbandssprecher haben sich radikalisiert. Das wirkt sich auf die Befehle der Polizeiführer und das Agieren der Einsatzkräfte aus. Die Polizei schreitet unverhältnismäßig ein, Unschuldige werden strafprozessual verfolgt, Verstöße konstruiert und aufgebauscht. Bei mancher Demonstration gab es mehr als 300 freiheitsbeschränkende Maßnahmen, obwohl kein einziger Stein flog.
Sind Sie selbst auch als Teilnehmer bei den Demonstrationen und Spaziergängen für die Grundrechte dabei?
Ja. Und was ich da teilweise gesehen habe, war schlimm. Es gab Jagdszenen. Einsatzhundertschaften hetzten Menschen hinterher und behandelten friedliche Demonstranten wie Schwerverbrecher. Ich dachte nur: Was machen die da, das darf doch nicht wahr sein? Ich musste einmal vor Verzweiflung sogar heulen. Und das war dann der Wendepunkt, was meine berufliche Identität betrifft. Danach konnte ich mich mit meinem Job nicht mehr identifizieren. Ein ganzer Berufsstand hat kollektiv versagt. Gegen Teilnehmer der Demonstrationen für die Grundrechte vergessen Beamte ganz schnell den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Polizei in Berlin ragt heraus, was die Polizeigewalt betrifft. Ich will kein Teil mehr davon sein, ich mach’ da nicht mehr mit.
Aber sind die Menschen, die die Regierung kritisieren und in Berlin seit März 2020 für ihre Grundrechte demonstrieren und zu den Montagsspaziergängen gehen, nicht alle rechts?
(Lacht) Da geht der Durchschnitt der Gesellschaft auf die Straße, Alt-Hippies, normale Bürger, spirituelle Menschen, Linke, Liberale, Rechte, einfach eine bunte Mischung. Aber im Landeskriminalamt (LKA) Berlin wurde 2020 die Ermittlungsgruppe „Quer“ eingerichtet – in Anlehnung an das Wort „Querdenken“. Dort werden alle Delikte bearbeitet, die im Zuge von Protesten gegen die Corona-Maßnahmen anfallen. Da diese Ermittlungsgruppe der Staatsschutzabteilung LKA 53 (Politisch motivierte Straftaten Rechts) angehört, fließen alle bearbeiteten Delikte als rechtsmotiviert in die Statistik ein – unabhängig von der tatsächlichen politischen Gesinnung der einzelnen Tatverdächtigten. Und so gibt es anscheinend mehr rechte Straftaten und in weiterer Folge mehr Geld für Organisationen, die diese verhindern wollen.
Das klingt eher so, als sollten friedliche Bürger mit Gewalt von der Straße ferngehalten werden?
Brutale Polizeieinsätze und die rigorose Ahndung von Verstößen sollen potenzielle Demonstranten abschrecken. Die Maßnahmenkritiker sind im Durchschnitt über 50 Jahre alt. Viele, die einfach nur friedlich demonstrieren wollen, lassen sich durch das Auftreten der Polizei sowie die massenhaft eingeleiteten Ordnungswidrigkeiten und Strafverfahren davon abhalten.
Ich habe auch einige sehr aggressive Gruppenführer erlebt. Polizeibeamte hinderten Menschen immer wieder daran, zu Demonstrationen überhaupt dazuzustoßen. In einem Fall im Frühjahr 2022 gab es zum Beispiel keinen Zutritt mehr, weil die in der Anmeldung genannte Teilnehmerzahl angeblich erreicht war. Diese Begründung ist völlig absurd und wird bei anderen Protesten, zum Beispiel beim Ukraine-Krieg, nicht so gehandhabt. Es gibt Doppelstandards, je nachdem, ob das Thema der Regierung genehm ist oder nicht.
Die Protestbewegung auf der Straße durfte einfach nicht wachsen. Im Spätsommer 2020 hatte die Politik Angst, dass die Stimmung komplett kippt. So verhängte die Polizeiführung und der damalige Innensenator Andreas Geisel für die Großdemo am 29. August 2020 ein Demonstrationsverbot., das in zwei Instanzen von der Justiz gekippt wurde. Trotzdem stoppte die Polizei den Demonstrationszug und blockierte ihn stundenlang. Die erst dadurch entstandene Stauung und geringeren Abstände dienten dann als Begründung für eine Gefahrenlage. Tatsächlich ging es darum, den Demonstranten ihr Grundrecht zu verwehren. Für mich stellt diese Vorgangsweise eine klare Missachtung der Gewaltenteilung dar.
Was möchten Sie den Polizeikollegen sagen?
Meldet Euch bei Einsätzen, bei denen Ihr „Bauchweh“ habt, krank. Schaut in den Spiegel, denkt nach, wer Euch gegenübersteht. Verhaltet Euch menschlich, hinterfragt und überprüft Eure dienstlichen Handlungen, und gleicht sie mit Eurem Gewissen, Euren moralischen und rechtlichen Standpunkten ab. Äußert Euren Vorgesetzten gegenüber Bedenken, wenn Ihr mit Anweisungen nicht einverstanden seid. Und traut Euch, auch in Eurer Freizeit für Grundrechte und Freiheit einzustehen. Wenn die Gewerkschaften Eure Interessen nicht vertreten, dann kündigt einfach die Mitgliedschaft und schließt Euch der überbehördlichen „Good Governance Gewerkschaft“ (GGG) an.
Und was raten Sie den Bürgern, die weiterhin für ihre Menschen- und Grundrechte demonstrieren?
Macht weiter, trotz der Polizeigewalt. Bleibt friedlich, aber bestimmt. Lasst Euch nicht auseinanderdrängen, sondern bleibt in Gruppen dicht beisammen. Weicht nicht zurück. Dokumentiert Übergriffe und bringt sie zur Anzeige. Sammelt Kontaktdaten von den Zeugen und vernetzt Euch. Die dezentralen Spaziergänge sind eine gute Strategie. Auch Flashmobs rund um die Uhr, in jeder Stadt sind sinnvoll. Macht Euch schlau über Eure Rechte und Pflichten im Versammlungsrecht, organisiert Seminare mit rechtlich geschulten Vortragenden. Gebt den immer wieder auftauchenden Anhängern von Verschwörungstheorien keine Bühne. Einigt Euch auf einen kleinen, aber wichtigen, gemeinsamen Nenner. Unternehmt gemeinsame Freizeitaktivitäten. Neben all dem politischen Engagement – vergesst nicht zu leben.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
Alle Fotos: Tilo Gräser
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