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Home Kultur Literatur Islam und Sex: Die arabische Lust in allen Details
Literatur Islam und Sex Die arabische Lust in allen Details
Veröffentlicht am 02.04.2013 | Lesedauer: 9 Minuten
Eine arabische Frau im traditionellen schwarzen Hidschab
Shereen el Feki hat ein Buch über Sex in den arabischen Ländern geschrieben. Von der Ehe bis zur männlichen Prostitution verrät es dem Westen sämtliche Geheimnisse des islamischen Geschlechterlebens.
Necla Kelek ist Soziologin und hat zuletzt das Buch „Hurriya heißt Freiheit. Die arabische Revolte und die Frauen – eine Reise durch Ägypten, Tunesien und Marokko“ veröffentlicht.
Quelle: picture alliance / Mirjam Reithe
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I m Frühjahr 2011 spürte der deutsche Schriftsteller Navid Kermani auf dem Tahrir-Platz in Kairo die revolutionäre „Zärtlichkeit der Massen“. Nun wird fast täglich über sexuelle Übergriffe, Grabscher und Vergewaltigungen vom Ort der arabischen Freiheit berichtet. Die Journalistin und Immunologin Shereen el Feki, in Kanada aufgewachsene Tochter eines Ägypters und einer walisischen Mutter, ist in tausendundeinem Tag vom Tahrir-Platz aus durch Ägypten, dem Maghreb und Mittleren Osten gereist, um herauszufinden, ob und wie sich vor und nach dem Sturz der Despoten das Verhältnis der Männer und Frauen zueinander verhält und verändert hat. Es ist eine Anamnese des Zustands der Sexualität in der islamischen Welt, wie sie so bisher unbekannt war.
Der Titel des Buches von Shereen el Feki „Sex und die Zitadelle“ bezieht sich auf die von Saladin 1176 gegen den Ansturm der Kreuzritter errichtete Festung, die über Kairo thront. Auf Seite 350 erklärt sie dieses Wortbild: „Was die Sexualität anlangt, so könne man meinen, die arabische Welt gleiche einer Zitadelle, einer uneinnehmbaren Festung, deren Außenmauer jeden erdenklichen Angriff auf die Bastion heterosexueller Ehe und Familie abwehrt.“
El Feki beschreibt die Geschlechterbeziehungen dieser in sich und ihrer Kultur geschlossenen arabischen Welt, aber auch die Öffnungen in den Mauern, die sie auf Veränderung hoffen lässt. Aber wie inzwischen fast jeder „im Westen“ ausgebildete Wissenschaftler, der über den Orient und die islamische Welt schreibt, will sie sich zunächst von der unterstellten Bevormundung Arabiens durch die koloniale Sicht distanzieren, um sich nicht dem „Orientalismus“-Vorwurf etwa eines Edward Saids auszusetzen.
„Flaubert fickte sich sozusagen nilaufwärts“ interpretiert el Feki denn auch die Tagebuchaufzeichnungen Gustave Flauberts, der 1850 eine Ägyptenreise unternahm, und stellt ihn als einen Sextouristen dar, der weniger an den antiken Tempeln, sondern sich mehr für männliche und weibliche Huren interessierte. Flaubert steht für die koloniale Sicht auf den Orient, und El Feki charakterisiert seine Beziehung zu der Region und ihren Menschen als ein Ausbeutungsverhältnis, während sich – als Gegenbeispiel angeführt – ein islamischer Imam in Paris zu fast gleicher Zeit allein wissenschaftlichen Betrachtungen hingab.
Flaubert markiert die Zeitenwende. Fast 50 Jahre zuvor hatte Napoleon der muslimischen Welt am Nil eine vernichtende Niederlage bereitet. Es dauerte in dieser Betrachtung weitere 50 Jahre, bis auch die Auffassung von Sexualität im Islam kolonialisiert wurde. Weg von der sinnenfrohen Bejahung des Geschlechtlichen „als Gebet“ in der arabischen Welt hin zur Entfremdung vom eigenen Körper und dem Umstand „die eigene Sexualgeschichte nach einer europäischen Vorlage umzuschreiben“. Ob allerdings das Liebesleben in den Harems der Fatimiden, Osmanen und Mamelucken in Ägypten frei war, entzieht sich unserer Kenntnis.
Der Islamismus der Salafisten, Wahabiten und Muslimbrüder im vergangenen Jahrhundert verstärkte diese Regression, weil er sich von der „Jauchegrube des sexuellen Chaos und moralischen Zerfalls“ absetzen wollte, zitiert el Feki den Gründer der Muslimbruderschaft, Sayyid Qutb. Folgt man seinen Ansichten, dann ist der Zustand des Liebeslebens in der arabischen Welt ein Reflex auf den Kolonialismus.
Für Shereen el Feki hingegen stecken die arabischen Gesellschaften in einer sexuellen Zwangsjacke, die dadurch entstand, dass sich der Islam in allen Bereichen des Lebens drängte. Den gordischen Knoten zerschlagen, „das sexuelle Elend der Massen“ beenden, lässt el Feki einen marokkanischen Soziologen sagen, könne man nur, wenn man wie der Sexualforscher Wilhelm Reich den Kapitalismus und Faschismus als repressives System beim Namen nennt und die Unterjochung bewusst macht, die in islamischen Ländern herrsche. In diesem Sinne hat el Fekis Buch auch einen europäischen Ansatz, denn es beschreibt und macht öffentlich, was als „haram“, als verboten gilt.
Was Shereen el Feki auf den folgenden über 300 Seiten verdienstvoll beschreibt, ist der „state of sex“ der islamischen Welt. Sie lässt – fast – nichts aus. Sie schreibt über die Ehe, das heißt über „die Sonne, deren Anziehungskraft das Ganze zusammenhält“, über Jungfräulichkeit, Masturbation, Verhütung, Abtreibung, Beschneidung, Prostitution, Homosexualität und Transvestiten.
„Wer heiratet, hat die Hälfte dieses Glaubens erfüllt; für die zweite Hälfte fürchte er Gott“ zitiert el Feki den Koran und beschreibt die Ehe als Fundament der arabischen Gesellschaft. Ohne Heirat kein Sex, ist das Credo der Moral des Islam. Nikab , das Wort für Heirat bedeutet auch Geschlechtsverkehr. So ist die durch und durch religiöse Gesellschaft, in der die Religion alles vorschreibt, verbietet, versagt und fordert, recht erfinderisch, was das Heiraten angeht. Üblich ist die von den Eltern, einem Vormund oder Vermittler arrangierte Ehe.
Solche Instanzen seien nötig, weil sich Jungen und Mädchen im Alltag nicht frei begegnen könnten, die Lebensräume der Männer und Frauen im Alltag traditionell getrennt voneinander sind und unkonventionelle Begegnungen der Geschlechter stets unter dem Verdacht der zina , der Unzucht stehen. Das hat sich in Zeiten von Internet, Handy und SMS zwar gewandelt, aber das Handy, mit dem Aufstände organisiert werden können, ist gleichzeitig auch ein Werkzeug der sozialen Kontrolle durch die Eltern, die ihre Schützlinge beständig anrufen, um zu erfahren, ob sie auch züchtig sind.
Hochzeiten sind Verträge zwischen Familien und teuer. Die Familie des Bräutigams muss nicht nur den Brautpreis finanzieren, sondern auch die Hochzeitsfeier, wobei Feste unter 500 Personen noch als „diskrete Events“ gelten. Weil sich viele Menschen diese Art Feiern nur schwer leisten können, wird in Ägypten inzwischen immer später geheiratet.
Auch aus diesem Grund haben sich religiös legitimierte, zeitlich begrenzte Formen der Ehe entwickelt. Die mut´a -Ehe, eigentlich eine schiitische Form der Ehe auf Zeit, für eine Nacht, eine Woche, einen Sommer, die in Ägypten gern von reichen Arabern praktiziert wird, um im Urlaub junge Mädchen an sich zu binden. Die úrfi -Ehe wiederum ist eine informelle Verbindung, die dazu dient, den Status von Geliebten zu legitimieren. Die misyar -Ehe nicht zu vergessen. Sie ist eine Ehe, die von Reisenden oder Zeitarbeitern geschlossen wird. Tausende Eltern vermitteln ihre meist unter 16 Jahre alten Töchter in „Sommerehen“ mit reichen Ausländern, um ihren eigenen Unterhalt zu finanzieren.
All diese Formen dienen im Kern dazu, sexuelle Beziehungen auch religiös zu legitimieren. Dabei handelt es sich oft schlicht um von Eltern organisierte und Geistlichen sanktionierte Prostitution. El Feki beschreibt diese Sitten und Traditionen detailliert, schonungslos.
Das Lob des Geschlechtlichen leitet sie aus der islamischen Tradition her und führt als Referenz die „Enzyklopädie der Lust“ von al-Katib aus dem 11. Jahrhundert an. Das wesentlich einflussreichere über Tausend Jahre die islamische Auffassung bestimmende „Buch der Ehe“, das die Männerherrschaft und Geschlechterapartheit zementierte und von al-Ghazali aus derselben Zeit stammt, erwähnt sie leider nicht.
Die Männer stehen ihrer Darstellung nach unter dem Druck, potent zu sein, denn „Impotenz ist laut der Ehegesetze der Scharia ein Scheidungsgrund“. El Feki stellt fest: Viagra und deren Generika sind in der arabischen Welt eine Art „zweite Währung“ geworden. Während also Männer immer können müssen, wird Frauen unterstellt, immer zu wollen. Und so kommt es zu Komplikationen. Da die Frau „die Ehre“ der Familie ist, hat sie sich, von anderen Männern fernzuhalten. Es gibt neben der ehelichen Gewalt und der Übergriffe in der Öffentlichkeit drei große Disziplinierungsmaßnahmen, um Frauen in Schach zu halten: erstens den Schleier, der die Frau vor anderen Männern verbirgt. 90 Prozent der Ägypterinnen sind inzwischen verschleiert.
Zweitens die trotz Ächtung praktizierte Genitalverstümmelung, der 90 Prozent der ägyptischen Frauen ausgesetzt sind. Drittens die Kontrolle der Jungfräulichkeit. Shereen el Feki schildert, wie tief die Tradition der Beschneidung unter den ägyptischen Frauen verwurzelt ist. Sie unterhält sich mit einer daya , einer Hebamme, die nicht nur Geburtshelferin ist, sondern auch die Tradition der sexuellen Kontrolle ausübt. El Feki erörtert die Vorgänge um die Beschneidung so, als handele es sich dabei um einen Friseurbesuch.
Ausführlich und nahegehend schildert sie die religiösen und traditionellen Argumente dieser Körperverletzung, die an Frauen von Frauen praktiziert wird, und irritiert mit der Anmerkung, dass die aus dem Westen finanzierten Initiativen gegen Beschneidung vielen Ägypterinnen fremd sind, weil sie meinen, das sei ein Mittel gegen „zügelloses weibliches Verlangen“.
Die dritte Disziplinierungsmaßnahme gegenüber Frauen ist der „Hymenbeweis“, der Jungfräulichkeitstest . Der Mann hat das Recht auf ein uneingeschränktes Sexualleben, schreibt el Feki, aber die Frau muss Jungfrau sein, wenn sie in die Ehe geht. Um überhaupt die Hochzeitsnacht als Unberührte zu erreichen, müssen die jungen Leute sich vorher etwas einfallen lassen, wenn sie Sex haben wollen. Das Durchschnittsalter der Bräute in Ägypten ist inzwischen 24 Jahre, ähnlich in Tunesien.
„Es wird eine Menge Analverkehr praktiziert,“ berichtet eine tunesische Medizinstudentin. „Offen gesagt, weil die Mädchen glauben, dass sie auf diese Weise ihre Jungfräulichkeit behalten können.“ El Feki lässt mehrere Männer zu Wort kommen, die erst in der Ehe erfuhren, dass „von hinten“ nicht der Weg ist, um Kinder zu zeugen.
Wenn die Jungfräulichkeit auf der Strecke geblieben ist, wird um das Gesicht zu wahren, eine Hymenrekonstruktion beim Gynäkologen vorgenommen. Auch das finden einige Imame akzeptabel, wird doch die Ehre und das Ansehen der Beteiligten damit gewahrt. Und das ist in der islamischen Kultur das Entscheidende.
Die Entjungferung wird dann in traditionellen Familien in der Hochzeitsnacht nicht auf „fränkische Art“, also vom Mann mit seinem Glied, sondern nach „ländlicher Art“ durch die daya , Hebamme, entweder mit dem Finger oder „mit einem mit weißem Tuch umwickelten Rasiermesser,“ vorgenommen, „wobei der Bräutigam zusieht und die Mütter anwesend sind“.
„Das ganze Land geht auf dem Strich“ sagt eine von der Autorin als Sexarbeiterin vorgestellte Jihane. Prostitution ist in Ägypten und Tunesien verboten, aber männliche wie weibliche „Sexarbeit“ allgegenwärtig. Illegal oder religiös legitimiert in „Sommerehen“. Homosexualität ist sowohl vom Islam wie per Gesetz verboten und durchgehend diskriminiert, aber allgegenwärtig und seit Harun al-Rashids Berichten aus 1001 Nacht in der Kultur vorhanden. Schwul, so ist gängige Auffassung, ist der „passive“, nicht der penetrierende Partner beim Sexualakt.
Das Buch bietet erstmals eine große Zahl von neuen Informationen aus der für Fremde verschlossenen Welt. Es ist ein großes Verdienst der Autorin, dass sie eine Öffnung in die Mauer des Schweigens geschlagen hat und vor allem den Muslimen Material an die Hand gibt, um aus dem Schweigen herauszutreten und die eigene Haltung zu reflektieren.
Sie beschreibt die prägende Kraft des Islam in Kultur und Tradition, zwar ohne genauer die sich daraus erwachsenen gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die patriarchalischen Strukturen zu benennen, wie etwa den Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Leben . Interessanter wäre die Lektüre noch gewesen, wenn Shereen el Feki ihre Position zu den Debatten moderner arabischer Soziologinnen und Geschlechterforscherinnen wie der Marokkanerin Fatima Mernissi und der ägyptischen Ärztin Nawal El-Saadawi skizziert hätte.
Doch Shereen el Feki geht ihren eigenen Weg. Sie zeigt schonungslos und ehrlich, unter welchen Bedingungen Frauen und Männer miteinander leben und wie ihr Sexualleben in der Realität der Zitadelle aussieht . El Feki hat für uns das Tor zur Zitadelle des Schweigens aufgestoßen. Es wird sich nicht so leicht wieder schließen lassen.
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