Abendtausende Proteste gegen rechte Umtriebe schwächen die AfD nicht – Wiener Sozialforscher

Das Thema Rechtsextremismus hat aktuellen Umfragen zufolge stark an Bedeutung zugenommen und liegt bei den wichtigsten Problemen in Deutschland jetzt auf Platz zwei, knapp hinter dem Thema Migration. Dabei stoßen die Demonstrationen gegen die AfD und Rechtsextremismus auf große Zustimmung: 79 Prozent finden sie demnach gut. 72 Prozent der Befragten gaben zudem an, dass ihrer Ansicht nach von der AfD eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland ausgehe. Ein Verbot der AfD unterstützen allerdings nur 41 Prozent. Auf dieses Paradoxon geht Daniel Witzeling, Leiter des Humaninstituts Vienna, im Satellit-Gespräch ein:
„Es besteht kein Paradoxon. Das Thema Rechtsextremismus ist durch aktuelle Ereignisse rund um ein Treffen von Personen aus dem Umfeld der AfD und anderen rechten Gruppierungen sowie die damit verbundene mediale Berichterstattung in das Wahrnehmungsfeld der Bürger gerückt. Dies erklärt die Bedeutung im Themenranking. Das Phänomen kann so wie andere schnell wieder abebben.“
Zu den hohen Zustimmungen zu Demos gegen Rechtsextremismus sagt der Sozialforscher: „Wer würde nicht sozial erwünscht gegen Rechtsextremismus sein? Eine auf österreichisch ‚No na ned‘ Antwort. Sprich, was sollen die Menschen sonst sagen. Auch die Bewertung der AfD beruht auf einer konditionierten sozial angepassten Reaktion. So verhält es sich auch mit den 72 Prozent, die in der AfD eine Gefahr für die Demokratie sehen. Wenn diese 72 Prozent andere Parteien wählen, ist diese Gefahr gebannt.“
Außerdem sei interessant die Frage nach dem “Warum?“ zu stellen, so Witzeling, und explorativ zu beobachten, welche Antworten im tieferen Sinn dazu kämen oder ob einfach wiederum nur angepasst reagiert werde. „Die wenigsten Befragten haben sich in der Tiefe mit der politischen Landschaft in Deutschland auseinandergesetzt. Sie liefern eine emotionale Reaktion auf die medialen Berichte.“
Dass diese Proteste, die sich auch gegen die AfD richten, die Partei schwächen, glaubten 38 Prozent. Vielleicht fußen sie auf einem Vergleich zur vorherigen Umfrage von Mitte Januar, laut dem die AfD gegenwärtig drei Punkte verliert und nur noch auf 19 Prozent kommt. Trotzdem bleibt sie immer noch zweitstärkste politische Kraft in Deutschland. Die Verluste in der Wählergunst sind schon bemerkenswert, zeugen sie aber von einer Schwächung der Partei?
„Nein. Die wahre Stärke der AfD wird sich erst bei Wahlen zeigen“, ist die Antwort des Sozialforschers. „Umfragen sind Momentaufnahmen. Gerade rechte und wenig anerkannte Parteien, mit denen man sich in einer Diskussion in Bezug auf soziale Erwünschtheit nicht besonders schmücken kann, schneiden bei derartigen Erhebungen schlecht ab. Sie werden tendenziell in Untersuchungen unterbewertet.“
65 Prozent der Befragten wünschen, dass man sich inhaltlicher mit der AfD auseinandersetzen sollte. Wer könnte dies aus der Sicht eines Sozialforschers besser tun: die Ampel-Parteien, die CDU\CSU oder vielleicht die neue politische Kraft Bündnis Sahra Wagenknecht?
„Sahra Wagenknecht stellt durch ihr gerade kognitives Kapital eine spannende Herausforderung für die AfD dar, antwortet Witzeling. „Hier bringt sie als Leitfigur mit ihrer Intelligenz und Eloquenz eine neue Dynamik ins Spiel um den Wählermarkt. Die Ampel-Parteien sowie die CDU\CSU sind für viele Wähler Teil des Problems und nicht der Lösung. Die Menschen sehnen sich nach einem frischen Wind. Dieser muss nicht zwangsläufig aus der rechten Ecke der politischen Landkarte kommen.“