Religion

Religion

Manar

Die im Grenzgebiet zwischen Abend- und Morgenland beheimateten Kirchen byzantinischer Tradition erlebten im 16. und vermehrt im 17. Jahrhundert einen Ansturm der Kalviner. Deren Einwände, die ursprünglich gegen die westliche Traditionskirche formuliert worden waren, trafen allesamt auch die östliche. Also lag es nahe, dass die Angegriffenen bei der Abwehr zusammenwirkten. Dies erschien umso angemessener, als neue Orden der Lateiner, besonders die Jesuiten, es verstanden, die Anliegen der Zeit aufzugreifen, die Reformation durch eifrigen Einsatz in Seelsorge, Schule und Buchdruck wieder zurückzudrängen und den Weiterbestand der lateinischen Kirche sicherzustellen, während die Kirchen byzantinischer Tradition wegen Mangels an Bildungsmöglichkeiten nicht sofort zur eigenständigen Antwort auf die Herausforderung fähig waren. In ihrer Bedrängnis erinnerte sich manch einer aus deren führenden Kreisen, dass das Miteinander von Griechen und Lateinern in Florenz ausdrücklich für möglich erklärt worden war, und sie begannen darauf zu drängen, dass endlich die Union verwirklicht werde, die in Florenz von Griechen und Lateinern für richtig gehalten worden war. Die Unionsgespräche, die im 16. und 17. Jahrhundert zustande kamen, und manche ihrer charakteristischen Züge bleiben unverstanden, wenn übersehen würde, dass führende Kreise der östlichen Traditionskirchen - neben anderen Gesichtspunkten, die für sie wichtig waren - auch nach Hilfe gegen den Ansturm der Reformation Ausschau hielten.

Den herkömmlichen Koordinator der Kirchen byzantinischer Tradition, den Kaiser von Konstantinopel, gab es seit 1453 nicht mehr. Beim Auftauchen neuer und schwerwiegender Probleme war es seine Funktion gewesen, für ein gemeinsames Handeln dieser Kirchen zu sorgen. Diese Funktion aber wurde beim Schwinden des Kaisertums von niemand anderem übernommen. Somit war keiner da, der hätte helfen können, in der neuen Lage nach dem Ausbruch der Reformation ein gemeinsames Vorgehen aller Kirchen byzantinischer Tradition zu veranlassen. Also mussten die von der Reformation bedrängten Kirchen "im Alleingang" handeln. Dies war auch deswegen unvermeidlich, weil jene Glaubensbrüder, die unter den Türken lebten, sich durch Verhandeln mit den Lateinern aus politischen Gründen in höchste Gefahr gebracht hätten. Denn ehe die Osmanen Konstantinopel eroberten, hatten die Griechen eine Union mit den Lateinern gesucht, um von ihnen Hilfe beim Kampf gegen die Türken zu erlangen. Sich jetzt wieder an sie zu wenden, wäre ihnen vom Sultan als Hochverrat ausgelegt worden. Einerseits von der Reformation und andererseits von den Türken bedrängt, hielt man es für richtig, die Rezeption der Florentiner Beschlüsse wenigstens dort sofort zu erstreben, wo dies durchführbar erschien, in der festen Überzeugung, dass anderswo die Glaubensbrüder nachfolgen werden, sobald ihnen die Umstände dies erlauben. Nacheinander in den einzelnen Ländern, sozusagen in Raten, wollten die führenden Kreise der bedrängten Kirchen jene Vereinigung erreichen, die das Konzil von Ferrara/Florenz unter Mithilfe des damals noch existierenden Koordinators der Kirchen byzantinischer Tradition, des Kaisers von Konstantinopel, für alle in einem gemeinsamen Schritt hatte vollziehen wollen.

So baten denn Ende des 16. Jahrhunderts die Bischöfe der Kiever Synode im Geist des Florentiner Konzils um Communio mit der römischen Kirche. Einige von ihnen verfassten im Dezember 1594 ein Dokument, in dem sie mit Worten, die der Einleitung des Florentiner Konzilsbeschlusses entlehnt sein dürften, bedauerten, dass die Lateiner und die Gläubigen ihrer eigenen Kirche "obgleich ein und demselben Gott angehörend und als Söhne einer und derselben heiligen katholischen Kirche getrennt sind, weswegen wir uns gegenseitig keine Hilfe und Unterstützung angedeihen lassen können". Folglich drängten sie auf die Überwindung der Grenze zwischen sich und den Lateinern und vermerkten, dass das Bewahren aller ihrer geistlichen Überlieferungen Bedingung sei für die ersehnte Einigung. Wie das Schreiben zeigt, war das Florentiner Ergebnis ihre Leitlinie, denn sie gingen davon aus, dass bei der gewünschten Union das gesamte östliche Herkommen ihrer Metropolie, auch ihre autonome Handlungsfähigkeit, sowie ihre sakramentale Communio mit den östlichen Schwesterkirchen jenseits der Grenzen Polens erhalten bleiben. Im Juni 1595 verabschiedete schließlich die Synode der Metropolie einstimmig das Ansuchen um die Communio mit Rom und fügte 33 Artikel bei, die genau die Erwartungen aufzählten, von denen schon im Dezember 1594 die Rede war. Im Ansuchen vermerkte sie ausdrücklich, dass das Florentiner Vorbild zu befolgen sei:

"Der Übereinstimmung in allem und der Einheit zwischen östlicher und westlicher Kirche gedenkend, die unsere Vorfahren unter der Jurisdiktion und Leitung des heiligen apostolischen römischen Sitzes pflegten, und andererseits die Streitereien und Schismata erwägend, die es heute gibt, können wir nur von größtem Schmerz erfüllt sein; wir beteten unablässig zum Herrn, dass er uns irgendwann zur Einheit des Glaubens zusammenführe, und wir hofften, dass unsere Oberen und Hirten der östlichen Kirche, deren Jurisdiktion wir bislang unterstanden, über den Weg zu Union und Eintracht, die sie tagtäglich in den Gottesdiensten von Gott erflehen, vielleicht ernsthaft nachdenken und darauf eifrige Obsorge richten würden. Solches wird aber, wie wir sehen, vergebens von ihnen erhofft, denn sie können das, was sie herzlich wünschen, vermutlich weniger aus Unwillen und Verstocktheit von ihrer Seite, sondern infolge des drückenden Jochs der Knechtschaft eines recht grausamen und der christlichen Religion fremden Tyrannen, unter dem sie seufzen, keinesfalls durchführen. Wir jedoch, denen es gegeben ist, hierzulande, unter der Herrschaft der Majestät des Königs von Polen und Schweden und Großherzogs von Litauen frei zu sein, …. beschlossen mit Gottes Hilfe, der Einheit beizutreten, die zwischen der östlichen und der westlichen Kirche in Kraft gewesen und auf dem Florentiner Konzil von unseren Vorgängern festgesetzt worden war, auf dass wir alle, durch das Band dieser Einheit gefestigt, unter der Jurisdiktion und Führung Eurer Heiligkeit mit einem Mund und Herzen den göttlichen und heiligsten Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes loben und preisen."


Report Page