Schlusswort zum Jahr 2020

Schlusswort zum Jahr 2020

// ive

Willkommen zu dieser Abhandlung über das verstrichene Jahr. 2020. Das Ende des alten und der Beginn eines neuen Jahrzehnts. Für die meisten begann dieses Jahr wohl kaum anders als sonst; doch nicht überall. Das Ausmaß der Geschehnisse war für die wenigsten vorstellbar, ebenso für mich. Während die Augen der Welt zu Beginn des Jahres noch auf politische Brennpunkte des Westens und Fernost, Wald- und Buschbrände gerichtet waren, drang sich ein weiteres Problem immer weiter in den Vordergrund und sollte dadurch unser aller Alltag langfristig verändern. Dies soll kein Beitrag sein, der ausschließlich der Krisensituation gewidmet ist; es handelt sich um einen persönlichen Erfahrungsbericht. Insbesondere möchte ich meine Lehren aus diesem Jahr ziehen. Dennoch denke ich, einige können sich mit manchen Situationen oder Gefühlslagen identifizieren. 




Zu aller erst jedoch, möchte ich dich hier begrüßen, in der Hoffnung, dass du wohlauf bist. Hinter uns liegt ein eigenartiges Jahr. Wenn ich selbst zurückdenke, ist doch so einiges passiert. 


Für mich selbst begann das Jahr mit einem Schock - dem Tod meines Klavierlehrers. Ein hingebungsvoller und stets motivierender Lehrer, der mich begleitete seitdem ich elf Jahre alt war. Parallel gab es natürlich heiße Diskussionen, ob und wie dieses neuartige Virus aus China sich auf uns auswirken wird. Und trotzdem lebte es sich noch unbeschwert. Zugleich wurde die Welt im wahrsten Sinne des Wortes von Buschbränden in Atem gehalten! Mit dem Verstreichen der folgenden Wochen wurde die Ungewissheit unter den Menschen immer deutlicher spürbar.  Und schließlich kam es auch bei uns in Deutschland zu einer nicht zu unterschätzenden Ausbreitung; Maßnahmen wurden ergriffen. Mit diesen Maßnahmen kam es allerdings zu mehr als einer Veränderung des gesellschaftlichen Lebens, ich selbst durfte “interessante” Sinneswandel im eigenen Familienkreis feststellen. Ich verstehe, so tiefe Eingriffe in das soziale Leben hat es noch nie gegeben. Alles bewegt sich in schieren rechtlichen Grauzone. Und auch die Gemüter bewegten sich immer mehr in diese Grauzone. Auf der ganzen Welt wurden Stimmen laut. Nicht nur gegen Hygiene- und Abstandsmaßnahmen; auch gegen Diskriminierung, Hass und Gewalt. Von relativ kurzer Dauer war die Medienpräsenz, der Black Lives Matter - Bewegung. Doch sie resoniert noch immer in vielen Köpfen. Politische Gegensätze haben sich selten in solch einem Ausmaß bemerkbar gemacht. In Anbetracht dieser Geschehnisse sind mir und vielen anderen, so denke ich, die tatsächliche Reichweite von Ungerechtigkeit und politischem Zwiespalt bewusst geworden. Sicher, Meinungen sollten respektiert werden, jedoch müssen sie gestützt werden können. 


So bewegte sich erst einmal alles auf Glatteis. Für mich, meine Freunde und Mitschüler barg der Distanzunterricht ebenso viel Unsicherheit. Die Bewertung vorerst unklar, Lehrinhalte teils unverständlich oder nicht im zeitlichen Rahmen zu schaffen… In dieser Zeit rückte ich jedoch auch wieder näher mit meiner Familie zusammen. Gemeinsam haben wir viel unternommen, insbesondere in der Natur. Viele Menschen fanden sich in dieser Ausflucht wieder. Schon beinahe ironisch, dass sich in diesem Geschehen auch Goethes Osterspaziergang wiederfindet. Aus beengten Städten (und Dörfern) strömen die Menschen nach draußen. Erleben trotz Starre; und diese Flucht vor der Lethargie erscheint mir als tiefer Instinkt des Menschen und gibt mir Hoffnung. Das Aufatmen und Verbinden mit der Natur bringt uns wieder ein Stück näher an unser selbst. Für meinen Teil habe ich in dieser Zeit das Texteschreiben und Dichten wieder für mich entdeckt und habe davon auch einiges provisorisch veröffentlicht. Auch da gab es positive und negative Resonanz. In diesen Texten spiegeln sich im Nachhinein betrachtet unterbewusste Impulse wider. Ein Fragment eines Gedichts aus dieser Zeit (ich habe es nie vollendet):


Weißes Wasser / Liegt still vor mir / Sekunden verschwinden / So wie ich Minuten verlier’ / Ich kann mich drehen, kann ich winden / Und schlafe doch auf Löschpapier / Die Stunden zählen sich / Wie von allein / Und Seidenfäden, klitzeklein / Umweben meinen Geist im Ganzen / [...]


Ich habe versucht, das Gefühl von Handlungsfähigkeit und Furcht vor der Leere einzufangen. Vielleicht erging es einigen ähnlich. Umso erfreulicher und erleichternder waren dann natürlich die ersten Lockerungen der Maßnahmen. Mit meinen engsten Freunden konnte ich mich endlich wieder treffen. Wir haben viel unternommen. Ich habe neue Menschen kennengelernt. Einer dieser Menschen ist in der Zeit bis heute einer meiner engsten Freunde geworden (Es mag einigen vielleicht aufgefallen sein - ich verwende statt “beste*r Freund*in” lieber die Bezeichnung “engste*r Freund*in”, da ich eine hierarchische Ordnung diesbezüglich nicht gern habe). Dafür bin ich unsäglich dankbar. Doch besonders viel Erleichterung bot auch die wiedererlangte physische Nähe. Die Wärme des Sommers. Ich habe insbesondere die Innenstadt Berlins kennengelernt und viel erkundet. Ich war im Bundestag, in den Parks des Tiergartens, Museen, in vielen Restaurants, Läden, … Ein kleiner Luxus, der mir und meinen Freunden vergönnt war, war der kostenfreie Eintritt in die staatlichen Museen, welche wir mit besonderer Freude besuchten. Danach ging es essen, einmal sogar im teuren Restaurant des Fernsehturms - dafür aber mit einem fantastischen Blick über die Stadt. Einmal standen mein bester Freund und ich auf den leeren S-Bahngleisen des Olympiastadions; eine beinahe unheimliche, aber dennoch belustigende Erfahrung. Überhaupt haben wir Berlin immer wieder als eine Stadt der Gegensätze und eigentümlichen Gemüter wahrgenommen. Und selten haben wir so viel gelacht. (Für manche, die uns kennen, kaum vorstellbar, dass da noch mehr geht!) Eine so wundervolle Zeit voller Erlebnisse hatte ich noch nie. Jetzt auf das Ganze zurück zu sehen, macht mich beinahe etwas wehmütig. Freiheit ist mir zum ersten Mal wirklich bewusst geworden - ein Mund-Nasen-Schutz hat dem ganzen keinen Abbruch getan. Ich bin den all den Erfahrungen noch immer zutiefst verbunden. Weiter ging es mit dem Dreh eines Videoprojekts. Der Sommer fand seinen Abschluss mit einem wunderschönen Tag am See, beim Geburtstag einer Freundin. Fast wie im Märchen. ;)


Mit der Einkehr des frühen Herbstes und den erneut steigenden Fallzahlen wurde dann jedoch auch der letzte Träumer auf den Plan der Realität zurückgerufen. Für mich persönlich begann das neue Schuljahr allerdings auch mit einem Impuls: Leistung. Und dieser Impuls hat sich gehalten und vor allem rentiert. Mit Stolz kann ich über mich sagen, dass ich 2020 eine Gesamtverbesserung meiner Noten um ganze 0,6 erreicht habe. Vielleicht ist das für den ein oder anderen banal, aber ich fühle dahingehend Zufriedenheit. Ein wertvolles Gefühl. Allerdings merkte ich an mir selbst auch, wie Unsicherheit und Unbeständigkeit an mir nagen. Zunächst aber gab es noch einige schöne Erlebnisse - darunter eine Hochzeit und ein Besuch des Theaters. Ich habe mich gut darauf verstanden, die Zeit auszukosten und schöne Momente bis in die letzte Ecke zu leben. Eine Lektion, die mir zugute kam. Auch wurde mir klar, dass ich für viele Momente der vergangenen Jahre nicht die Wertschätzung aufgebracht habe, die sie verdient hätten. Eine besonders starker Eindruck lieferte mir dabei eine Panikattacke, als ich allein im Bus saß. Mich überfiel eine unaussprechliche Angst, ein Zittern am ganzen Leib, mir wurde schwindelig, heiß und kalt und ich dachte jeden Moment würde ich sterben. Ich denke, jeder der selbst einmal eine Attacke dieser Art hatte, weiss, wie überwältigt man in so einem Moment ist. Ich, für meinen Teil, fand Trost in einem Gebet (ich bin jedoch sonst nicht wirklich gläubig). Auch hierzu schrieb ich einen kleinen Text.


aneurysma.
Heute habe ich / Die wahre Angst gespürt / Die stieg mir bis ins Gesicht / Die mir das Mark erschütterte / Ein erbleichendes Gefühl / Das meine Hände lähmte / Und ich mich schon in Sicherheit wähnte / Mein Leben sei vorüber / Meine Zeit sei nun vorbei / Die Tränen zogen salzene Straßen / Über meine Haut taub und bleich / Meine Hände bebten / Und wollten sich nicht steuern lassen / Ich dachte: gleich / Ich gab mich hin / Und indem ich sah / Wie dankbar ich für mein Leben bin / War alles wieder klar / Und meine Lippen brachten ein Gebet / An alles, was ich glaubte / Und ich weiß nun so viel mehr / Und dass ich gerne leb'


Ich habe mich tatsächlich viel mit Glaubensfragen im Anschluss auf dieses Erlebnis beschäftigt. Insbesondere auch wieder jetzt, im Dezember. Einige haben es eventuell mitbekommen; ich bin seit November etwas häufiger krank. Dabei scheint die Geschichte mit der Panikattacke jedoch zunehmend wieder an Bedeutung zu gewinnen, denn sie kehrte zwei Mal zurück und scheint sich wohl auch körperlich niederzuschlagen. Dennoch versuche ich, die Zeit möglichst sinnvoll zu nutzen und habe so beispielsweise gemeinsam mit meiner engsten Freundin das Schachspiel für mich wiederentdeckt. Auch lese ich endlich wieder mehr. Und das würde ich auch dir jetzt gern empfehlen. Lies. Das muss ja kein Roman sein, vielleicht ein Lehrbuch, ein Fachbuch, einen Blog zu einem bestimmten Thema! Es gibt so vieles zu Wissen. Ich selbst bin oft erstaunt darüber, was ich weiss, doch viel bedeutsamer ist oft all das, was ich (noch) nicht weiss. Etwas neues zu probieren; das ist sicherlich kein besonders neuartiger oder kreativer Vorschlag, aber dennoch einer, den ich jedem ans Herz legen wollen würde (Konjunktiv!). Zu dieser Zeit hat sich meine Dichtung auch in eine romantisch-impressionistische Richtung gewendet.


(re)inkarnation.
Ein gleißender Schein offenbaret sich mir / Und blendet meine Augen / Gewagt hab ich's; ich sprach nach oben zu dir / Und der Donnerschall erschlägt meine Ohren
Der Finsternis kühle Wogen / Sie zerschellen vor mir und / Ich höre, wir wurden betrogen
Wenn die Sterne dereinst vom Himmel fallen / Und spielend der Nacht die Kehle zerschneiden / Dann ist der letzte Tag vollbracht / Und erlöst wird alles Leiden / Noch in weiter Ferne spüre ich, dass diese Nacht geschieht / So kehre ich um und sehne mich, dass mein Herz es sieht


Die Weihnachtszeit war für viele etwas anders. Ich konnte mich - abgesehen von meinem gesundheitlichen Zustand - eines relativ normalen Festes erfreuen. Doch einigen meiner Freunde und Bekannten ging es anders. Einige waren sogar ganz allein zu Weihnachten. Ich wünsche jedem, niemals das Gefühl wahrer Einsamkeit zu erleben. Nun… was lässt sich zusammengefasst sagen…


Dieses Jahr, 2020, war für uns alle eine emotionale Achterbahnfahrt. Wir alle mussten lernen, zu verzichten. Unsere Solidarität unter Menschen wurde auf eine harte Probe gestellt. Wir sind dazu angehalten durchzuhalten (nettes Wortspiel). Wir alle brauchten und brauchen noch immer Geduld, Hoffnung und Zuversicht. Eine andere Option haben wir nicht. Das habe ich gelernt und viele andere hoffentlich auch. Menschen, die sich bewusst gegen eine klare Lage der Fakten wenden, haben aus meiner Sicht keinen Respekt vor dem anständigen Leben, keine emotionale Intelligenz, keinen Charme. Das ist verbittert und in höchstem Maße bedenklich. Ein solches grundlegendes Misstrauen der Welt gegenüber ist in meinen Augen ein Zeichen tiefster Schwäche. Und doch wünsche ich gerade diesen Menschen, dass sie endlich ihre Augen öffnen können und sich selbst nicht weiter belügen. Eine Gesellschaft, die von Misstrauen und Missgunst geleitet wird, schafft sich selbst ab. Da helfen auch keine Vergleiche zu Widerstandskämpfer*innen und Opfern vergangener Jahrhunderte. Was zählt, ist unsere aktuelle Zeit und unser aktuelles Bestreben, eine bessere Zukunft zu erreichen. Wer sich dieser Entwicklung bewusst in den Weg stellt und sich darin “gehirngewaschen” oder sonstiges fühlt, hat den Zug leider verpasst. Erst, wenn sie erkennen, welche Privilegien ihnen zugrunde liegen, werden sie verstehen. Erst dann. Dieses Jahr forderte viele Opfer. 


Ich hoffe, ich konnte einige meiner Erkenntnisse an euch weitergeben oder auf sonstige Art erreichen. Was ich mir wünsche, sind dankbare Menschen, Menschen, die den Mut zur Hoffnung haben und füreinander statt gegeneinander arbeiten. Das ist nichts neues, das sind menschliche Forderungen. Denn gerade unser Mensch-Sein sollte uns in diesem Jahr bewusst geworden sein.  Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch einige eurer persönlichen Erfahrungen beleuchten. Durch eine Umfrage haben mich einige Nachrichten zum Thema erreicht. Ich werde die Ergebnisse hier anonym präsentieren. Beginnen wir mit den prägendsten Ereignissen dieses Jahres. Neben dem Ausbruch beschäftigte die Erkrankung nahestehender Personen. Auch viele negative Gedanken kamen hinzu, Beerdigungen wurden besucht. Trotz des Lockdowns konnten doch einige positive Erfahrungen gemacht werden. Die Zusage des Studienplatzes, der Beginn eines neues Lebensabschnittes nach einer Trennung oder eine Woche in der Natur schufen Erleichterung. Dazu kam neue Musik von Künstlern, das Anmelden und Abschließen der Fahrschule oder das erste Treffen mit dem*/der* Internetfreund*in. In Anbetracht des Erlebten ergeben sich viele Hoffnungen für 2021 und die kommenden Jahre. Viele wünschen sich vor allem den persönlichen Wandel; das Traumgewicht erreichen, Neues lernen. Manche leiden an Essstörungen, Depressionen und Suizidgedanken, von denen sie endgültig loskommen wollen. Ganz besonders hier sichere ich euch mein Verständnis und meine besten Wünsche zu. Viele, ich denke alle, wünschen sich die Wiederkehr des Alltags, wie wir ihn kannten. Ich wünsche jedem die Erfüllung dieses einfachsten Bedürfnisses nach Sicherheit. Für viele wird auch das Thema Studium und Wohnungssuche eine große Rolle spielen, auch für mich und meine Busenfreundin. In diesem Sinne natürlich viel Erfolg an alle! Was ich mir selbst wünsche, ist wohl aus dem vorangegangenen zu ermitteln. Ich habe diese Umfrage aus dem einfachen Grund gestaltet, um euch zu zeigen, dass ihr mit euren Erfahrungen und Wünschen nicht allein seid. Dass wir kollektiv Hoffnungen für die Zukunft wahren. Dass wir nicht so allein sind, wie es uns oft scheint. 


Ganz besonders haben mich auch eure persönlichen Worte berührt und möchte jedem dafür danken und kann selbiges nur an euch zurückgeben. Es ist wichtig, dass wir einander Hoffnung schenken. Gemachte Fehler können verziehen werden, auch wenn nicht alles wieder gut gemacht werden kann. Akzeptanz ist der Schlüssel. Ohne nun eine Überlänge dieser Worte forcieren zu wollen, danke ich an dieser Stelle ganz herzlich fürs Lesen. Ich danke allen, die die Umfrage beantwortet haben. Ich bin dankbar für die Erfahrungen und Inspirationen dieses Jahres. Ich bin dankbar für mein Leben und für alles, was da noch kommt und jeden, der mich dabei begleiten wird. Alles gute und auf ein 2021 voller Freiheit und Erfüllung.


Alle Gedanken und Kommentare zu diesem Text lese ich mir sehr gern durch / höre sie mir gern an, zögert nicht, sie mir mitzuteilen (per Instagram DM, WhatsApp, ...)! :)


// ive






weidenast.
Die Nacht dünstet um mich / So dunkel, still, so ewiglich / Wirf auf mich dein goldenes Licht / Die Weiden wiegen mit dem Wind / Ein Wesen, das die Fäden spinnt / Verwoben sind wir / Dort oben sind wir / Frei



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